In den Häusern der Barbaren
ergangen. Ein kleines Schmiergeld, und alles war vergessen. Wurde einem das Auto gestohlen, bezahlte man die Beamten dafür, es wiederzufinden, was ihrem Vater passiert war, im comisaría von Nezahualcóyotl. Im Gegensatz dazu hatte man Araceli hier, in dieser Polizeiwache, nicht gegen Geld freigelassen, sondern mit einem Lachen und in Anerkennung der Wahrheit, und dieser Gedanke brachte sie zum Kichern, obgleich sie ganz allein an einer Straßenecke stand. Sie erinnerte sich an ein altes Sprichwort: La que sola ríe, en sus maldades piensa . Wer allein lacht, denkt an seine Sünden. »Wie albern; ich habe keine maldades begangen. Ich bin nur eine arme mexicana auf der Suche nach dem richtigen Weg.« Der Detective hatte sie einfach nach einer Telefonnummer gefragt, unter der sie zu erreichen sei, »nur für den Fall, dass wir im Laufe der Ermittlungen Ihre Unterstützung brauchen«; dann hatte er ihr den Plastikbeutel überreicht. Sie lief noch einen ganzen Block weiter, bis sie merkte, dass sie kein Ziel hatte. Zum Haus der Torres-Thompsons zurückzugehen kam nicht infrage. No los quiero ver . Ihr blieb immer noch das Geld im Plastikbeutel, und sie dachte kurz daran, sich ein Busticket zur Grenze zu kaufen. Für eine Fahrkarte nach Tijuana würde es reichen und für eine torta und einen Taco, wenn sie ihr Ziel erreicht hätte; aber das wär’s dann auch. Und um ihr Erspartes von der Bank zu holen, müsste sie in den Paseo Linda Bonita zurück. Also rief sie Marisela an, nachdem sie einen Vierteldollar in den letzten verbliebenen Münzfernsprecher im Stadtzentrum von Aliso Viejo geworfen hatte, und bat die Freundin um eine posada für eine Nacht.
»Du warst im Fernsehen«, sagte Marisela, »du bist immer noch im Fernsehen!«
» Estoy cansada . Ich könnte zwei Tage durchschlafen.«
»Haben sie dir wehgetan? Als ich gesehen habe, wie sie dich umgerannt haben, in den Nachrichten, da habe ich zu Mr Covarrubias gesagt: ›Oh mein Gott. Sie werden ihr den Arm brechen!‹ Und dann haben wir dich rauskommen sehen, und du hast gut ausgesehen.«
»Sie waren sehr höflich. Sobald sie eingesehen hatten, dass ich keine secuestradora bin … Kann ich bei dir bleiben?«
»Lass mich zuerst Mr Covarrubias fragen. Mal schauen, was er sagt.« Araceli hörte, wie in der Küche mit Geschirr geklappert wurde, und das undeutliche Geplauder aus dem Fernseher, das vom gut hörbaren Jingle einer Bierwerbung unterbrochen wurde. Sie vernahm Stimmen.
»Er sagt, er kommt mit dem Auto und holt dich ab«, sagte Marisela fröhlich. »Er hat alles im Fernsehen gesehen und ist wirklich wütend. Er sagt, wir müssen dir helfen. Gerade in diesem Moment läuft er aus dem Haus. Er ist in etwa fünfundzwanzig Minuten da.«
Janet Bryson war daheim in ihrem Haus in der Calmada Avenue in South Whittier, und sie war ebenfalls wütend, wenn auch aus anderem Grund. Sie hatte wie betäubt auf der Kante ihres alten, aber bequemen und kürzlich erst aufgepolsterten Sofas gesessen – in ihrem großen Haus, dessen Klimaanlage defekt war – und im Fernsehen verfolgt, wie Araceli Ramirez in die Freiheit hinausspazierte. Die Hitze und das live übertragene Geschehen hatten Janet die Stimmung verdorben. Sie hatte das Schicksal von Brandon und Keenan seit dem Morgengrauen verfolgt, seit den letzten Stunden ihrer Nachtschicht im Krankenhaus, wo die ersten Bilder der Jungen über den Fernsehschirm im stillen Empfangsbereich geflimmert waren. Später, zu Hause, hatte sie die Details im Internet nachgelesen und sich schließlich ins Wohnzimmer gesetzt, um den endgültigen Ausgang der Geschichte auf Kanal 9 zu verfolgen.
»Sie lassen sie laufen? Was soll das?«
Janet Bryson kannte keinen der Protagonisten persönlich, natürlich nicht, obwohl ihr Haus zufälligerweise nur acht Blocks von Scott Torres’ altem Haus am Safari Drive entfernt lag. Sie war MTA und alleinerziehende Mutter eines Teenagers, mit dem sie einen zweigeschossigen Bungalow im Ranchstil bewohnte. Der Grundriss war mit dem von Scotts Elternhaus identisch, solche Häuser hatte man auf einer platten, vergessenen Kuhweide neben einem Abwasserkanal aus Beton namens Coyote Creek aus dem Boden gestampft. Im Sommer führte der Creek ein Rinnsal aus brackiger Flüssigkeit, das sich größtenteils aus den Gullys der Nachbarschaft speiste; die Leute hier vergeudeten das Wasser: Sie hätschelten ihre Vorgärten und Rosenstöcke, wuschen ihre tiefer gelegten Autos zwei- bis dreimal wöchentlich. Das
Weitere Kostenlose Bücher