In den Häusern der Barbaren
in Santa Ana das Frühstück. Es gab Rührei, Chorizo, frisch gepressten Saft aus Orangen vom Baum im Hinterhof und eine Portion ausgebackener Feigen, die er unten an der Straße in einer Baulücke von den Ohren eines riesigen Kaktus gepflückt hatte. Bei jedem Gang zog er die Augenbraue hoch, die zwischen seinem Jupiterauge und den zwei Muttermalen Io und Europa schwebte, und fragte nach, ob Araceli noch mehr Kaffee wolle. Araceli grinste breit, als der unrasierte Patriarch mit der Pfanne in der Hand vor ihr stand, denn ihres Wissens hatte er – um die fünfundfünfzig, Fernfahrer im Vorruhestand – noch nie Frühstück gemacht. » Ay , Octavio«, sagte seine Frau Luz, der die Ironie ebenfalls nicht entgangen war, » a mí nunca me haces Frühstück. Qué bonito sería , wenn du mir eines Tages den Kaffee ans Bett bringen würdest!« Seit Araceli am Vorabend in sein Haus gekommen war, empfand Octavio Covarrubias das unerklärliche Verlangen, sie zu bemuttern; eine Frau, deren Anwesenheit er bei ihren vorherigen Besuchen kaum wahrgenommen hatte.
Octavio Covarrubias war tief beeindruckt von der Tatsache, dass diese mexicana die Verhaftung und symbolische Auspeitschung durch die amerikanischen Medien überlebt, ihre Ehre más o menos gerettet und ausgerechnet sein Haus zu ihrem Unterschlupf erkoren hatte. Er war eifriger Leser und verfolgte das Fernsehprogramm auf zwei Sprachen, und sein ganzes Erwachsenenleben lang hatte er zwangsläufig, als stummer Beobachter sozusagen, mitansehen müssen, wie seine Landsleute wieder und wieder unter die Räder kamen: in Gerichtssälen, auf Schmugglerrouten in der Wüste, in den Haftanstalten Arizonas. Er las und dozierte über das Thema, bis seine Nachbarn in der Maple Street ihn hinter seinem Rücken licenciado nannten. In seiner Vehemenz und Wortwahl erinnerte er sie an die Politbürokraten in der alten Heimat.
Als Araceli sich den letzten Rest Rührei in den Mund geschoben hatte, fing Octavio Covarrubias zu reden an. » Proseco hat einen Korrespondenten hier in Los Angeles«, sagte er. »Vielleicht sollten wir den anrufen. Ich bin mir sicher, dass der Proseco über dich berichten würde.« Octavio Covarrubias war Abonnent des Proseco , und so flatterte ihm das investigative Magazin aus Tijuana wöchentlich ins Haus. Noch bevor Araceli antworten konnte, erzählte er ihr von einer Reportage, die ebenjener Korrespondent über ein Internierungslager für Immigrantenkinder im San Diego County geschrieben hatte, und von dem Televisa-Beitrag, der auf ebendieser Reportage basierte. Später waren weitere Beiträge gefolgt, im spanischen und schließlich im englischen CNN . Octavios Nachrichtenhunger war so groß, dass er seiner Frau und seinen Nachbarn aus dem Stegreif erklären konnte, warum die US Army für das Hochwasser des Mississippi und das Attentat auf den mexikanischen Präsidentschaftskandidaten Luis Donaldo Colosio verantwortlich war. Er wusste von der Verbindung zwischen den Drogenkartellen und dem Expräsidenten Salinas de Gortari. Weil er die Highschool in Durango nicht hatte abschließen können und sein Traum von einem Studium der Politikwissenschaften unerfüllt geblieben war, studierte er nun die Nachrichten: in der Hoffnung, das unberechenbare Weltgeschehen zu durchschauen. Alles war nur eine große Verschwörung, zu dem einzigen Zweck, seine Landsleute arm, ungebildet und in Sklaverei zu halten.
Araceli ignorierte die Anspielung auf den Proseco -Reporter und half Octavio und seiner Frau beim Abwasch. Offenbar warteten ihre Gastgeber auf Informationen aus erster Hand. Aber Araceli wusste nicht, wo sie anfangen sollte.
»Dann haben sie dich also anständig behandelt?«, fragte Luz Covarrubias, als sie den von Araceli abgetrockneten Teller in Empfang nahm und einräumte. »No te veo traumada. Te veo tranquila.«
»No me imaginaba« , sagte Araceli plötzlich. Octavio und seine Frau glaubten, sie spreche über ihre Verwunderung, überhaupt in diese Maschinerie des Hasses hineingeraten zu sein. Darüber, dass ein Polizist sie überwältigt hatte und sie öffentlich vorgeführt worden war. Dass sie sich niemals hätte träumen lassen, vor Millionen von Fernsehzuschauern als Kriminelle am Pranger zu stehen. Aber nein. Araceli hatte einfach nicht geglaubt, so abrupt aus der Erstarrung gerissen zu werden, aus ihrem langweiligen, bequemen Leben, aus der ewigen Routine von schmutziger Wäsche und regelmäßigen Mahlzeiten. Stattdessen war sie in den irren Strudel eines
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