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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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sie sich einen großen Teil des Tages auf einer dünnen Matratze hin und her gewälzt hatte, die auf dem Stahlblech herumrutschte, das ihre Wärter Bettgestell nannten. Sie wartete, dass die Nacht sich herabsenkte und dann der Tag wieder anbrechen würde. Im schmalen Rechteck ihres Zellenfensters glühte es morgens kurz orangerot, und sie konnte sich vorstellen, dass sie woanders wäre. Im Viertel San Cosme in Mexiko City, wo ihr letzter chilango -Freund gewohnt hatte, wo die Sonne einem das Gesicht wärmte und die Reihen erdstoßgeschüttelter Häuser sich über die Gehwege neigten; oder in der U-Bahn, wenn sie aus dem Untergrund aufstieg an die Luft und die Fahrgäste um sie herum in die plötzlichen Lichtpulse blinzelten. Was für ein Fehler, Mexiko City zu verlassen. Ihre Reise nach Norden hatte sie in eine Zelle in Santa Ana geführt, wo sie sich nun an die Winkel der Wände, die Klänge der Korridore gewöhnte, wo sie umgeben war von Insassen, die durch den kollektiven Schlafmangel wie hypnotisiert waren. Infolge der rituellen Medikamentenausgabe wurde die Aufmerksamkeit der Insassen geradezu magisch vom Freizeitraum am Ende des Flurs angezogen, wo ein Fernseher das Gefängnis mit einem unablässigen Strom aus Gelächter und Werbejingles beschallte. Ihre Mithäftlinge verharrten auch um drei Uhr nachmittags in diesem neutralen, halb wachen Zustand, während auf die Menschen draußen in der Welt die Sonne brannte. Sie waren alle wie eingefroren, diese Frauen in den blauen Einteilern, die auf ihren Betten saßen, manche mit den grauen Decken übergeworfen, einhundert schmuddelige kleine Puppen, in ihren Zellen aufgestapelt wie Bauklötze, was Araceli an ein Gemälde von Diego Rivera aus seiner marxistisch-didaktischen Phase erinnerte: Leichen, die einen Banktresor füllten. Eingefrorene Guthaben.
    Am ersten Arbeitstag trieben die ständigen Umarmungen und Erkundigungen nach seinem Befinden Scott aus seinem Büro; außerdem bekam er nicht eine einzige Message von Charlotte, die sich rasch abwandte, als sie bemerkte, wie er sie durch die Scheibe betrachtete. Zu Hause wandte sich Maureen ab, sogar wenn sie ihm einen Einkaufszettel reichte. Unterwegs dann allerdings, etwa als er mit der Liste in der Hand vorm Supermarkt stand, wurde er auf einmal dauernd angestarrt. Zuerst sah der Latino, der die Einkaufswagen zusammenschob, Scott lange und eingehend an, und die anfängliche Überraschung wandelte sich bald in aggressive Wut. Dieser Kerl war wie alt, dreißig, fünfunddreißig? Sein kahl rasierter Schädel versetzte Scott zurück nach South Whittier, wo sein Vater damals gesagt hatte, dieses Outfit und der damit einhergehende Lifestyle sei »für Loser, die nicht richtig Englisch lernen wollen«. Er hatte ein Ziegenbärtchen und den unkonzentrierten Gesichtsausdruck eines Mannes, der unmerklich und unvorbereitet aus der Jugend ins mittlere Alter abglitt. Fünf, zehn Sekunden vergingen, Scott hob das Kinn zur stummen Frage »Was ist?«, doch der Mann wandte den Blick nicht ab. Scott ging in den Laden und füllte seinen Wagen pflichtgemäß, trotzdem musste er an der Kasse einen weiteren Blick ertragen, diesmal von der Latina-Kassiererin, die sich schließlich stirnrunzelnd und mit gewollter Gleichgültigkeit von ihm abwandte. Er hatte diese Kassiererin vielleicht ein halbes Dutzend Mal gesehen, aber sich nie mit ihr unterhalten, und jetzt spürte er, sie war irgendwie enttäuscht von ihm, und das hatte irgendwie mit seinem Nachnamen zu tun. Ich müsste einer von ihnen sein. Das erklärte auch den Blick des vato bei den Einkaufswagen. Scott Torres wurde nach den Gesetzen der Stammestreue verurteilt, nur weil er einen mexikanischen Nachnamen trug. Wirklich seltsam, wie stammesbewusst diese Leute sind. Scott – mit einem mexikanischen Namen – war verantwortlich für die Inhaftierung einer Frau mit dreien : Araceli Noemi Ramirez. Eigentlich war er nichts weiter als ein Kunde in diesem Supermarkt, ein Bekannter – und doch verachteten sie ihn. Scotts Anwesenheit hier an der Kasse, sein mit Babynahrung, Windeln und Saftkartons gefüllter Einkaufswagen bedeuteten ihnen weniger als das abstrakte Gebilde Araceli, die Latina-Märtyrerin in ihrer Zelle.
    »Stimmt was nicht?«, fragte Scott die Kassiererin, deren Namensschild sie als EVANGELINE auswies.
    »Was meinen Sie ?«, fragte Evangeline kryptisch zurück, und über diese Frage konnte er dann nachdenken, als er den Wagen mit seinen Einkäufen aus dem Laden rollte, in

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