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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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ein mexikanischer Spruch? Keine Hosen anhaben?«
    »Ja. Genau.«
    »Na, das geht ja an Ihre Mannesehre. Haben Sie deshalb Salat bestellt?«
    »Sehr witzig«, sagte der Bürgermeister und setzte sein weltberühmtes Lächeln auf – die einnehmend strahlende Keramik hatte ihn zum Bürgermeister gemacht, ihm aber auch gelegentlich Ärger eingebracht, wenn er sie privat aufblitzen ließ, in Richtung zierlicher, alleinstehender Frauen Anfang dreißig. Er aß ein paar Gabeln Salat und redete weiter. »Sie hat doch eigentlich recht.«
    »Ehrlich?«
    »Sie meint, sie hat mich nicht bloß gewählt, damit ich die Stadt Los Angeles regiere.«
    »Ach so. Die Sache mit der Ikone. Das lange unterdrückte Volk.«
    Heerscharen von Wählern erwarteten vom Bürgermeister, dass er sich zum Fall einer zu Unrecht beschuldigten Kinderfrau äußerte, nur weil er dieselbe ethnische Herkunft hatte wie sie. Sie betrachteten seine Wahl als Erfüllung eines lang gehegten Traums von Macht und Respekt. Es spielte keine Rolle, dass die meisten seiner tatsächlichen Wähler weiß waren: Vom Bürgermeister erwartete man, dass er sich für die Reform der Einwanderungsgesetze und für Amnestien starkmachte sowie für weitere Themen, die weit außerhalb seines ziemlich begrenzten Einflussbereichs lagen. Würde er sich für die Legalisierung der Einwanderer aussprechen, wie diese Menschen es erwarteten, dann würde sich eine andere Sorte Wähler auf die scheinbare Bedrohung durch seine mexikanische Herkunft konzentrieren, und bei manchen würde sich die Meinung verhärten, dass er eine Chicano-Verschwörung anführe, um die Weißen zu versklaven. Seine mexikanische Herkunft war also zugleich sein größter politischer Pluspunkt wie auch seine schwerste Last.
    »Wenn ich gar nichts sage, lässt mich das schwach wirken«, sagte der Bürgermeister. Dieses Wort verwendete er nicht oft in Bezug auf sich selbst, Schwäche war in seinem Umfeld eine Art Tabu, und als der Berater diese Charakterzuschreibung nun aus dem Mund des Bürgermeisters persönlich hörte, setzte er sich aufrecht hin. »Die Leute denken allmählich, ich weiche der Sache aus.« Die Karriere des Bürgermeisters im Anschluss an eine turbulente Kindheit in Los Angeles’ Eastside, die über das Studium in Berkeley und ein oder zwei vergebliche Kreuzzüge als Bürgerrechtsanwalt irgendwann ins kalifornische Parlament und schließlich ins Bürgermeisteramt der zweitgrößten Stadt der USA geführt hatte, war ein Balanceakt zwischen Umgänglichkeit und Härte gewesen, zwischen Charme und Rücksichtslosigkeit. Er begriff, dass »Schwäche« in der Politik Gift war, genau wie früher auf den Straßen seiner Jugend. Die ersten Kapitel seiner Biografie spielten in einer elitären katholischen Chicano-Schule, wo der zukünftige Bürgermeister Strickpullover trug, sich zum Spaß als Black Panther verkleidete und sich schließlich ein paar Faustkämpfe lieferte, die zu seinem Schulverweis führten. Wenn er das Wort »schwach« oder eines seiner vielen Synonyme hörte, spürte er einen Stich der alten Aggressivität, und sein Schweigen in den letzten zwanzig Minuten hatte auch damit zu tun, dass er den starken Drang unterdrücken musste, dieses Zimmermädchen aufzufordern, sie solle sich selbst ficken.
    Das war ein seltener Augenblick des Selbstzweifels bei einem Politiker, der einen unglaublichen Lauf hatte und seiner Umgebung sonst mit ständig wechselnden Begeisterungen und einem überbordenden Glauben an sich selbst auf den Geist ging. Er würde hunderttausend Bäume pflanzen, tausend zusätzliche Polizisten einstellen, ein oder zwei süße Fernsehreporterinnen flachlegen – und das alles bis Weihnachten. Und jetzt warf die eingebuchtete Haushälterin alles über den Haufen, drohte seinen Glanz zu verdunkeln, noch dazu aus dem fernen Orange County. Der Bürgermeister konnte das Grummeln spüren, von dem Araceli unterstützt wurde, und irgendwann würde es sich auch in seinen alten Bürgerrechtskreisen ausbreiten, bis in den inoffiziellen Club wohlhabender Liberaler hinein, die seine Wahlkämpfe finanziert hatten. Einige dieser Leute hatten schon Leserbriefe, E-Mails, Leitartikel, Blogbeiträge geschrieben, die von Aracelis »Zwangslage« als Sinnbild für die »Marginalisierung« der Einwanderer im amerikanischen Rechtssystem und auf dem Arbeitsmarkt sprachen, vom »Machtverhältnis von Erzählen und Glauben«, das in der Stadt zwischen Einwanderern und Nicht-Einwanderern herrsche, und ähnlichen

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