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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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sich um und wollten sich durch die Haustür in Sicherheit bringen, aber ehe die Flucht gelang, hörte Araceli eine seltsam vertraute Stimme mit der Verve und dem Akzent von Mexiko Citys Oberschicht nach ihr rufen: »¡Araceli! ¡No te me vas a escapar! ¡No te lo permito!«
    Sie drehten sich gleichzeitig um und sahen sich einem Mann im mitternachtsblauen Anzug gegenüber, der auf dem Beifahrersitz des Lieferwagens saß; ein Bein hing schon aus der offenen Tür. »Wo habe ich den Kerl schon mal gesehen?, fragte sich Felipe, während Araceli ihn auf der Stelle erkannte. Er hatte einen mediterranen Teint und schwarzbraunes Haar, das mit ein wenig Mousse in Form gehalten wurde. Sein gesamter Aufzug war so kultiviert und elegant, dass Araceli sich schon aus der Ferne die Duftwolke vorstellen konnte, die diesen Mann umgab. Dann fiel ihr sein Name ein, und sie sprach ihn laut aus, die letzte Silbe der spanisch-französischen Melange fragend erhoben.
    »¿Carlos Francisco Batres Goulet?«
    »¡El mismo!«
    Er war der zweitberühmteste Mann im mexikanischen Fernsehen, Moderator einer morgendlichen Talkshow; sein Sender besaß praktisch das Monopol der mexikanischen Fernsehunterhaltung. Er kam mit ausgestreckter Hand über den Rasen auf sie zu, und Araceli drückte das Rückgrat durch, als müsste sie den Abgesandten aus einem Königshaus begrüßen. Sie dachte an ihre Mutter, die jeden Werktag in der Küche den Fernseher laufen hatte und zusah, wie dieser Mann auf einer Couch saß und entspannt mit Rockstars, Rebellenführern oder Regierungsmitgliedern plauderte, wie er draußen mit den weinenden Familienangehörigen bei einem Grubenunglück in Sonora stand oder im gelben Parka an der Küste von Yucatán, wo jeden Moment ein Hurrikan losbrechen konnte. Carlos Francisco Batres Goulet war erst knapp über dreißig, doch er war schon ein wandelndes Geschichtsbuch, und als er jetzt Araceli zur Begrüßung die Hand schüttelte, tat er das mit der huldvollen Haltung eines Prinzen, der sich unters Volk mischt.
    »Qué gusto conocerte« , sagte er.
    »El gusto es mío« , murmelte sie.
    Carlos Francisco Batres Goulet war heute Morgen in Malibu gewesen, um dort eine mexikanische Schauspielerin zu interviewen, die in den Vereinigten Staaten großen Erfolg hatte. Er hatte sie in ihrem neuen Haus besucht, das an einem felsigen Küstenabschnitt über Strand und Pazifik hinausragte, und danach hatte er sein Senderhauptquartier im Bezirk San Ángel in Mexiko City angerufen und vorgeschlagen, ein Interview mit der berühmten paisana zu führen, die fälschlich der Entführung angeklagt wurde. Jetzt betrat er das Heim der Covarrubias mit einem freundlichen »¡Hola!« und grüßte Octavio mit erhobener Hand. Der kam gerade mit nassen Händen aus dem Bad und stand nun sprachlos vor Verblüffung in seinem Wohnzimmer.
    »Carlos Francisco Batres Goulet?«
    In wenigen Augenblicken füllte die Fernsehcrew das Wohnzimmer der Covarrubias mit Scheinwerfern und Kabeln. Batres Goulet und seine Producerin hatten rasch entschieden, dass Araceli auf dem Sofa sitzen würde, der Moderator ihr gegenüber auf einem Regisseursstuhl. Das Sofa mit seinen verblichenen lila Polstern und dem Samtbild dahinter war ein beredtes Symbol der Bescheidenheit und des schlechten Geschmacks der mexikanischen Arbeiterklasse, und Batres Goulet und seine Producerin wussten genau, dieser Hintergrund würde das gesamte demografische Spektrum ihres Publikums in verschiedener Weise ansprechen. »Sie werden hier sitzen«, sagte er auf Spanisch zu Araceli und ließ es eher wie eine künstlerische Eingebung klingen als wie eine Anweisung.
    Nachdem beide ein wenig Puder und Schminke ins Gesicht getupft bekommen hatten und der Sound gecheckt worden war, begann Batres Goulet mit dem Interview. Er lächelte und neigte leicht den Kopf: »Araceli Noemi Ramirez Hinojosa« , sprach er ihre beiden Vornamen und den mütterlichen und väterlichen Nachnamen gemessen und formell aus wie einen Lexikoneintrag, als wollte er ihre Aufnahme ins Pantheon mexikanischer Prominenz würdigen. Araceli hörte die vier Namen und dachte an all die Orte in Mexiko, in die sie nun übertragen würde: von der Küche ihrer Mutter über den Fernseher neben den Zigarettenstapeln im kleinen abarrote , dem Lebensmittelladen an der Ecke in Nezahualcóyotl, außerdem in das Heimatdorf ihres Vaters in Hidalgo, in die kleinen Straßenstände, wo Kinder und Männer mit Macheten vor den Schwarz-Weiß-Geräten stehen blieben,

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