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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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um atole zu trinken und die Nachrichten zu sehen, schließlich in die Frühstückscafés von Polanco in Mexiko City, wo die Geschäftsleute sie sehen könnten, während sie ihre chilaquiles aßen.
    »… es usted una criminal, tal como nos dicen las autoridades del estado de California?«
    »Nein«, antwortete sie mit amüsiertem Lächeln, sie war keine Kriminelle, egal, was die kalifornischen Behörden sagten. »Ich bin bloß eine Frau, die zum Arbeiten in dieses Land gekommen ist und die ihren Job gemacht hat«, sagte sie auf Spanisch. »Und dafür habe ich großen Ärger bekommen.«
    Von Batres Goulets sanften, aber gekonnten Fragen geleitet, erklärte sie die Umstände, unter denen sie mit Brandon und Keenan das Haus verlassen hatte, darunter auch den Streit ihrer patrones und den zerbrochenen Couchtisch – Einzelheiten, die hier zum ersten Mal an die Öffentlichkeit gelangten.
    »Das klingt ja nach einem chaotischen Haus, in dem Sie da gearbeitet haben.«
    »Das war nur an diesem einen Wochenende so. Sehr lange Zeit war es sehr angenehm, für sie zu arbeiten. Exigente , das schon. Alles musste auf bestimmte Art getan werden, aber das hat mir nichts ausgemacht. Sie können sich vorstellen, wie es ist, für eine so wohlhabende nordamerikanische Familie zu arbeiten, die noch dazu guten Geschmack hat. Das Essen war hervorragend. Meine Chefin, la señora Maureen, hat ein sehr gutes Auge für Tomaten. In diesem Land ist es nämlich viel schwerer, gute Tomaten zu bekommen, als bei uns zu Hause. Das begreife ich einfach nicht.«
    Der Moderator lachte laut auf, und auch auf Aracelis Gesicht erschien ein gewinnendes Lächeln. Einen Augenblick wirkte sie wie eine fröhliche, leutselige Allerweltsmexikanerin. Er ließ sie noch ein bisschen in der Richtung weiterreden, brachte sie dann aber zum eigentlichen Thema zurück.
    »Es kam also der Augenblick, wo Sie beschlossen, mit den Jungen das Haus zu verlassen.«
    An dieser Stelle erklärte Araceli, weil sie annahm, dass es den meisten mexikanischen Zuschauern unbekannt war, dass die amerikanischen Behörden den Eltern ihre Kinder wegnehmen und sie in eine Einrichtung namens »Pflege« geben können. »Ich musste mich entscheiden. Entweder mich um sie kümmern oder die Polizei rufen. Im Rückblick wäre es natürlich klüger gewesen, die Polizei zu rufen. Dann hätten jetzt die Eltern den Ärger und nicht ich. Hätte ich doch nur die Polizei gerufen!« Das sagte sie in einer Lautstärke und Leidenschaft, die ihr nicht gut zu Gesicht stand und die von ihrer Wut zeugten, von der Polizei verfolgt, vor der Kamera festgenommen und zu Boden geworfen und ins Gefängnis gesteckt zu werden – zweimal sogar – und schließlich auch noch Prügel einzustecken, alles wegen einer selbstlosen Tat. All diese Demütigungen erwähnte sie Batres Goulet gegenüber, doch den größten Teil ihrer Tirade bekamen die mexikanischen Fernsehzuschauer nicht zu sehen, weil Batres Goulet und seine Producerin diese speziellen drei Minuten herausschnitten, um Araceli so sympathisch wie möglich wirken zu lassen. Ihr Wunsch, Brandon und Keenan zu beschützen, hatte ihr also nur Ärger eingehandelt, fuhr Araceli fort, und jetzt war ihr klar geworden, dass man in diesem Land am besten mit einer Portion Kälte und Distanz zurechtkam. Das sagte man in der Heimat ohnehin über die USA , doch es war hart, diese Weisheit am eigenen Leibe erfahren zu müssen. »Dabei bin ich gar nicht so wild auf Kinder«, sagte Araceli. »Aber was sollte ich machen? Los niños no tienen la culpa. Ich konnte sie nicht dorthin kommen lassen, wo die norteamericanos ihre verlassenen Kinder hinbringen. Nein.«
    »Möchten Sie Ihrer Familie zu Hause in Ciudad Neza vielleicht noch eine Botschaft zukommen lassen?«, fragte Batres Goulet.
    »Es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe«, sagte sie so lässig, dass klar wurde, es tat ihr kein bisschen leid. Auch diese Bemerkung wurde später herausgeschnitten.
    Batres Goulet verließ das Haus der Covarrubias, drängte sich durch die etwa hundert Menschen, die sich auf dem Rasen, dem Gehweg und um den Übertragungswagen versammelt hatten. Die Nachricht von seiner Anwesenheit hatte sich rasch im Viertel verbreitet und den gegenteiligen Effekt zum Auftauchen des Streifenwagens bei Aracelis Festnahme gehabt. Solange Carlos Francisco Batres Goulet unter ihnen war, das spürten sie, würden seine makellose Haut und die Aura der mexikanischen Fernsehmacht sie beschützen. Sie sprachen den

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