In den Häusern der Barbaren
Namen so ehrerbietig aus, wie man sonst nur von Heiligen oder Wallfahrtsorten spricht: »Carlos Francisco Batres Goulet … Carlos Francisco Batres Goulet.« Als er die Haustür öffnete und auf die Veranda trat, kreischten ein oder zwei Mädchen, er winkte in die Menge, schüttelte ein paar Hände, und innerhalb von zwei Minuten war er verschwunden, während die Zurückgebliebenen immer noch seinen Namen wiederholten.
»Carlos Francisco war hier! Carlos Francisco Batres Goulet!«
Dreißig Minuten nachdem die Menge sich zerstreut hatte saß Araceli wieder mit Felipe auf der Veranda. In der wiederhergestellten Abendstille scherzten sie über den Besuch des Fernsehmoderators, wurden jedoch noch einmal unterbrochen, da ein Geländewagen vorfuhr und ein halb bekanntes Gesicht mit einem Gefolge von Anzugträgern ausstieg. Der Älteste zupfte sich im Näherkommen am Revers und warf ein abwesendes »Buenas noches« hin, während er ins Haus der Familie Covarrubias hineinsah. »Qué se hizo Batres Goulet?« , fragte er.
»Se fue« , sagte Araceli barsch. »¿Y quién es usted?«
»Soy Emilio Ordaz Rivera« , sagte der Mann mit dem seltsam fernen Grinsen eines Menschen, dessen Grüße oft ignoriert werden. »Soy el cónsul de México en Santa Ana.«
Hinter ihm standen drei Männer in gleicher Aufmachung wie er, dunkle Sonnenbrillen in den Hemdtaschen, Manschettenknöpfe, dünne Armbänder am Handgelenk. Sie füllten ihre maßgeschneiderten grauen und schwarzen Anzüge mit der Selbstgefälligkeit von Männern aus, die von frühester Kindheit an auf eine glorreiche Karriere in der mexikanischen Bundesbürokratie vorbereitet worden waren. Sie wirkten wie mürrische Katzen, die den ganzen Tag bei einer sinnlosen Gemeindeveranstaltung in der kalifornischen Sonne gebraten hatten, und nach der Langeweile in ihren Zügen zu urteilen, fanden sie auch diese Umgebung unter ihrer Würde.
»Ich hatte gehofft, Batres Goulet wäre noch da. Damit ich ein wenig zu der Geschichte beitragen könnte.«
»Sie wollten ins Fernsehen? Mit mir?«
»Ja.«
»Wieso?«
Der Konsul senkte die Stimme und flüsterte ihr mit absichtlicher Offenheit, die er für den Beweis intimer Nähe hielt, ins Ohr: »Warum will irgendjemand ins Fernsehen? Natürlich weil es das Fernsehen ist.«
Der Konsul steckte in einer Karriereklemme – er suchte nach einem ruhmreicheren Posten als Santa Ana, denn er war achtunddreißig und verlor gerade den Wettlauf mit der Zeit und den byzantinischen Hierarchien des Außenministeriums. Vor einem Jahr hatte man ihm den Posten des Ständigen Vertreters in der Botschaft in Tegucigalpa in Honduras angeboten. Idiotischerweise hatte er abgelehnt, weil er gemeint hatte, es sei besser, Konsul hier in der südkalifornischen Medienmetropole zu sein. Inzwischen war ihm klar, sämtliche Presse- und Fototermine und sämtliche Treffen mit den Starlets und den Ministern auf Staatsbesuch nahm der Konsul in Los Angeles wahr – nicht der in Santa Ana. Jetzt wäre er sogar Ständiger Vertreter in Lagos geworden, wenn man ihm den Posten angeboten hätte, überall hin, bloß weg aus Santa Ana, wo seine wichtigste Aufgabe darin bestand, die Leichen der paisanos in die Heimat zurückzuführen, die mit dem Auto verunglückt oder bei der Arbeit vom Dach gefallen waren.
Araceli wusste nichts von den Sehnsüchten und Unsicherheiten der überqualifizierten, frustrierten, poetisch ambitionierten Karrierediplomaten im Secretaría de Relaciones Exteriores , doch sie spürte den verzweifelten Wunsch dieses Mannes, seinen Vorgesetzten zu gefallen. Als sie und Felipe sich ins Wohnzimmer zurückzogen und die Tür hinter sich schlossen, quetschte der Konsul noch eine letzte Bitte durch den Spalt.
»Rufen Sie mich an, wenn Batres Goulet noch mal kommt!«
24 Araceli hatte sich vorgenommen, die Leute nicht anzuschauen, und als sie mit Ruthy Bacalan die Stufen zum Gerichtsgebäude erklomm, hielt sie den Blick gesenkt und beschirmte die Augen mit einer Hand vor der Sonne. Als sie ganz kurz den Kopf hob, sah sie ein Schwarz-Weiß-Bild aufblitzen, ein Plakat mit dem vergrößerten Röntgenbild eines Schädels, in der Mitte durchbohrt von einer Stange. Die Unterschrift sollte das Bild wohl erklären, tat es aber nicht: VON ILLEGALEN UMGEBRACHT . Sie schaute auf die dahinter versammelten Demonstranten und sah, dass eine müde wirkende Frau in Krankenschwesternuniform das Plakat hielt. Die Menschen neben ihr hielten verschiedene rot-weiß-blaue Stoffstücke in der
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