In den Häusern der Barbaren
entdecken, über die sie gerade gegangen war. Sie war ein wenig enttäuscht und fühlte sich absurderweise zurückgewiesen. Was? Es gibt noch eine berühmtere mexicana als mich? Wer soll das denn sein? Eine Serienmörderin? Die muss wirklich was ganz Schlimmes angestellt haben.
Araceli drückte die letzten Glastüren auf, und sie und Ruthy traten in die eisige Luft des Gerichtsgebäudes.
Als Olivia Garza zwölf Jahre alt war, hatte eine Sozialarbeiterin vom Kern County sie zu Hause besucht. Die kleine Olivia war sehr beeindruckt, wie die Frau, lediglich mit einem Plastikausweis bewaffnet, ihrem Vater eine derartige Heidenangst und Gesetzesfurcht eingejagt hatte, dass er sich nie wieder so betrank und ausrastete wie vorher. In den folgenden Jahren musste ihre Mutter nie wieder samstagabends mit ihren beiden Kindern im Schlepptau in die Notaufnahme eines Krankenhauses, woraufhin Olivia beschloss, auch so ein Mensch zu werden – eine Fremde, die eine Familie im eigenen Wohnzimmer mit der Macht der Vernunft und des Gesetzes zur Räson bringen konnte. Als sie nach dem Studium anfing, im Jugendamt des Orange County zu arbeiten, wurde ihr klar, dass es gewisse Mütter gab, die sie schon im Traum gesehen hatten, lange bevor sie wirklich auftauchte, weil auch sie als Kinder eine Fremde mit einem Klemmbrett in ihr Wohnzimmer hatten kommen sehen. Als Olivia Garza zum ersten Mal allein das Haus am Paseo Linda Bonita betrat, spürte sie gleich, dass auch Maureen so eine Frau war – das eigenartige Gefühl von Wiedererkennen und Furcht, von der Wiederholung eines sehr alten und erniedrigenden Familienrituals.
»Sind Sie allein?«, fragte Maureen, als sie Olivia zu einem großen, langen Esstisch mit einer Kuchenplatte in der Mitte führte. »Wir haben Cupcakes für Sie gebacken. Die Kinder haben sie dekoriert.«
Maureen hatte sich zwei Tage auf den angekündigten Besuch der Jugendamtsvertreterin vorbereitet und bis auf Samantha die gesamte Familie zum Putzen und Aufräumen eingespannt. Beim Garnieren der Cupcakes mit Buttercreme und Streuseln hatte dann auch Samantha mitgewirkt, weshalb Maureen der Sozialarbeiterin nun verkünden konnte, »hierbei hat sogar unsere Kleine mitgeholfen«. El abuelo Torres hatte – wieder einmal – den Rasen gemäht, Brandon hatte den Weg gefegt, Keenan hatte beim Aufräumen von Samanthas Zimmer mitgeholfen, Scott hatte die Badezimmer geputzt, und Maureen war in den Wüstengarten gegangen, um die kleinen Blütenexplosionen der Seidenpflanzen und Saudisteln zu pflücken. Es war fast wie die Vorbereitung zu einer Geburtstagsparty, nur dass diesmal Araceli nicht mithalf, weshalb Maureen noch erschöpfter war als sonst und die Jungen schmollten, weil sie »arbeiten« mussten. »Sind wir jetzt auch Sklaven?«, fragte Brandon seine Mutter, die ihn allerdings nicht hörte. Wenn die Sozialarbeiterin wüsste, dass meine Mutter mich fegen lässt, überlegte Brandon, und dass ich bald Blasen an den Händen habe von der ganzen Arbeit, würden wir dann alle Ärger kriegen?
Als Olivia Garza ankam, wurde sie im Wohnzimmer von Brandon und Keenan mit frisch gekämmtem, feuchtem Haar begrüßt. Sie standen mit Händen in den Taschen neben dem Tisch, ein wenig wie Soldaten in Habtachtstellung, bis ihre Mutter ihnen sagte, sie könnten in ihr Zimmer gehen, solange die Erwachsenen sich unterhielten. Maureen holte Kaffee und setzte sich neben ihren Mann an den Tisch, und Olivia fühlte sich gezwungen, einen der Cupcakes zu probieren. »Vielen Dank«, sagte sie. Dann schaute sie das Paar und das Kleinkind auf dem Schoß der Mutter an, das noch Buttercreme an den wurmgroßen Fingerchen hatte, und fragte: »Und, wie kommen Sie zurecht?«
Maureen kniff die Lippen zusammen und schaute auf den frisch polierten Eichentisch mit den bestickten Tischsets aus Guatemala. Sie sagte nichts, weil sie sich zu zeigen bemühte, dass sie alles im Griff hatte, und wenn sie nur ein Wort über ihre Gefühle sagte, dann würden diese Gefühle aus ihr herausbrechen, zum Amüsement dieser Fremden. Sie versuchte die aufsteigenden Tränen zurückzublinzeln und wusste oder ahnte nicht, zu welchem Schluss Olivia Garza bereits gekommen war: dass die grundsätzliche Normalität dieser Familie keinerlei Bedrohung für die Kinder darstellte und dass sie schon bald den abschließenden Eintrag in die Akte vornehmen und sie dann ganz förmlich schließen würde. Diese Entscheidung hatte sie kurz zuvor getroffen, eine plötzliche Eingebung angesichts
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