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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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hatte, nachdem Maureen verräterische Löcher in einem Pullover entdeckt hatte – all das verschaffte ihr eine nicht geringe Befriedigung.
    Nachdem Araceli mit Bügeln fertig war, hatte sie ihr Tagwerk getan – dabei war es erst zwei Uhr. Als sie die Küchentür hinter sich schloss und den kurzen Weg durch den Garten antrat, war immer noch nichts von den Torres-Thompsons zu sehen. Das Gästehaus war ein kleinerer Klon des Haupthauses, in den gleichen Pastelltönen gestrichen, mit den gleichen Fensterrahmen, der gleichen schwarzen Holztür, dem gleichen Messingtürknauf. Diese Tür zu öffnen war Aracelis kleiner Triumph am Ende eines Arbeitstages, ihre größte nordamerikanische Errungenschaft: Zum ersten Mal im Leben hatte sie ein Zimmer für sich allein. Ihr persönlicher Besitz in diesem Raum bestand aus einer barocken Sammlung wiederverwerteter Gegenstände: Poster, die sie nach la señora Maureens »Frühlingsputz« gerettet hatte, verschiedene Kunstwerke, die Araceli hergestellt hatte (darunter ein von der Decke hängendes Mobile), und ein Ersatztisch mit Sperrholzplatte, den sie als Arbeitsfläche nutzte. Eines der beiden Fenster ging auf den Garten hinaus, wo die Adobewand, die das Anwesen der Torres-Thompsons begrenzte, durch das ausdünnende Blattgrün sichtbar wurde, und einen Augenblick lang stellte sie sich vor, wie Pepe durch seinen alten Garten schlenderte und verständnislos den Kopf schüttelte. Sie zog ihre Uniform aus, ließ die weite Bluse und die Hose in den Wäschesack segeln und legte damit ihre Identität als Bedienstete ab. Wahrscheinlich trug sie die Uniform für genau diesen Augenblick, in dem sie nun ihre eigenen Sachen anziehen konnte, Leggings oder Jeans. Sie verwandelte sich wieder in die Araceli, die früher durch die Galerien und Clubs von Condesa, Roma oder den anderen Vierteln von Mexiko City gezogen war. Vielen Dank, liebe Familie, für diese Uniformen. Ich schicke euch Tausende Dollar, die ich im Schweiße meines Angesichts verdient habe, und ihr schickt mir fünf filipinas . Dann unter die Dusche, weg mit dem Geruch der Putzmittel und Weichspüler und hinein in eine gelenkige Wachheit, in der sie sich ganz wie sie selbst fühlte.
    Sie ging zu ihrem Arbeitstisch und zog einen Bogen Bastelpapier hervor, um weiter an ihrer Collage zu arbeiten. Das Projekt nahm in dieser frühen Phase dadurch Gestalt an, dass Araceli Bilder aus Zeitschriften zusammenstellte, die Maureen jeden Monat wegwarf: International Artist, Real Simple, American Home, Smithsonian, Elle . Sie holte eine Handvoll der Magazine unter dem Tisch hervor, öffnete dann eine kleine Schublade und nahm einen Umschlag heraus, aus dem ihr eine Sammlung ausgeschnittener Hände entgegenfiel. Araceli konnte Hände nicht besonders gut zeichnen, und sie hatte angefangen, sie als eine Art Studienobjekt zu sammeln, um sich mit den Fingern, der Nagelhaut, den Lebenslinien vertraut zu machen. Es waren Hände aus einem Rembrandt-Gemälde, aus einer Handcreme-Werbung, Hände in Gartenhandschuhen, Hände, die sich ausstreckten, um andere Hände zu schütteln. Erst zwei Hände waren bisher auf ihre Bastelpapierleinwand geklebt, und die hatte sie genau ins Zentrum ihrer Komposition gestellt. Die Hände waren in Öl gemalt, fragend und flehend geöffnet, und stammten aus Caravaggios Abendmahl in Emmaus , einem Lieblingsbild ihrer ehemaligen Kunstgeschichtsdozenten am Instituto Nacional de Bellas Artes; aus irgendeinem Grund waren sie in einer Versicherungswerbung aufgetaucht.
    Nachdem sie eine Stunde lang verschiedene Handarrangements ausprobiert und in den Zeitschriften nach weiteren Händen gesucht und einige aufgeklebt hatte, hielt Araceli inne, rieb sich die Augen und ließ sich zu einem Nickerchen aufs Bett fallen. Sie schaute das gerahmte Foto ihres vierjährigen Neffen an, das einzige Familienfoto in einer Bildergalerie alter Freundinnen und Freunde von der Bellas Artes. Sie waren durch ihre Anstellungen und als Migranten in alle Winde verstreut worden – zu Restaurantjobs im Viertel Polanco von Mexiko City oder in verschiedene nordamerikanische Städte mit exotischen Namen, die Araceli auf einer Handvoll Briefumschläge und Postkarten gesammelt hatte: Durham, North Carolina; Indianapolis, Indiana; Gettysburg, Pennsylvania. In solchen Augenblicken, wenn sie sich allein den Widersprüchen ihres amerikanischen Abenteuers ausgesetzt sah, wollte sie in einer ersten Reaktion den Fernseher anschalten und einfach alles vergessen. Doch

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