In den Häusern der Barbaren
stattdessen legte sie den Arm übers Gesicht und schloss die Augen, umarmte die erschöpfte Dunkelheit und die darin verborgene Klangpalette: ein Singvogel, dessen Ruf aus drei kurzen Tönen und einem vierten langen bestand, der sich wie ein Fragezeichen anhörte. Der sehr ferne Bass eines Motors und das viel klarere, hellere Brummen eines Wagens, der in die Sackgasse des Paseo Linda Bonita einbog, der ersterbende Motor das Anziehen der Handbremse. Jetzt die Stimme einer Frau, die im Haus nebenan redete, keine zwei Meter von ihrem Fenster entfernt, das auf die schmale Grenze zwischen den beiden Anwesen hinausging. Sie hörte ein Mädchen, das der Frau antwortete, und auch wenn die Worte nicht erkennbar waren, war es doch eindeutig ein Dialog zwischen Mutter und Kind. Jedes Mal, wenn Araceli diese weiblichen Stimmen hörte, musste sie an das Zimmer denken, das sie sich in Mexiko City mit ihrer älteren Schwester geteilt hatte, an die geflüsterten Gespräche in der Dunkelheit nach dem Zubettgehen. In den trockenen Wintern waren sie vom Geräusch des Besens aufgewacht, mit dem ihre Mutter den täglichen Ruß- und Staubfilm aus dem Innenhof fegte, den sich ihre Familie mit fünf anderen teilte. Der Besen bestand aus dünnen, zusammengeschnürten Zweigen und erzeugte ein schlagendes Kratzen, sobald er über die Bodenfläche fuhr. Das Mädchen Araceli stellte sich den Reisigbesen als Musikinstrument vor, der stundenlang ein rhythmisches Lied spielte: Putz-putz, Putz-putz, Putz-putz. Tagsüber versammelten sich ihre Mutter, ihre Tante und ihre Cousinen auf dem Beton des Innenhofs, um Bohnen zu sortieren, Wäsche aufzuhängen, eine badewannengroße Pflanzschale voller Kräuter und Rosen zu pflegen. Aus diesem Zuhause war Araceli geflohen, aber gelegentlich, in ruhigen Momenten, kehrte sie zurück zur kalten Zementhaut seiner Wände, zur Stahltür am Eingang, die beim Öffnen ploppte wie ein Dosendeckel, zum mit grobem Kies bestreuten Boden des Hofes. Araceli vermisste die Unregelmäßigkeit Mexiko Citys, seine Asymmetrie, die improvisierten Räume. Sie vermisste die Frauen und diese Stimmen, die Bemerkungen ihrer Mutter, wie sie über Tomaten und Männer sprach, über das Aroma von Zwiebelringen und mariniertem Rindfleisch, das aus großen Töpfen über den Hof wehte, wenn sie sich sonntags bei gutem Wetter draußen versammelten, ein Tisch und viele Gespräche, zwischen geparkte Autos gezwängt.
Als sie zwanzig Minuten später aufwachte, rechnete Araceli einen Augenblick damit, dass sie gleich ihre Mutter sehen würde, und noch etwas länger hatte sie das unbestimmte Gefühl, irgendeine Haushaltspflicht, die ihre Mutter ihr aufgetragen hatte, nicht erledigt zu haben.
5 Im Lauf der Jahre hatte Maureen sich angewöhnt, die Augen zur Auffahrt zu senken, wenn sie den Geländewagen aus der Garage fuhr. Sie versuchte jeden Blickkontakt mit ihren Nachbarn zu vermeiden, um auf keinen Fall in ein Gespräch hineingezogen zu werden; jede Nettigkeit hätte sie nur an die weniger netten Begegnungen erinnert. Direkt nebenan wohnten ein sehr gleichmütiger Luftfahrtingenieur und seine Frau, etwas jünger als Scott und Maureen, mit einer einzelnen Tochter, die ungefähr in Keenans Alter war. Die einzige Spielverabredung der beiden – bei der Keenan versehentlich einer von Anikas geliebten altmodischen Puppen den Arm abgerissen hatte, worauf sie einen unkontrollierbaren Weinkrampf bekam – war Maureen so schrecklich peinlich gewesen, dass sie seitdem nicht mehr an die Tür der Nachbarn geklopft hatte. Der Graben zwischen Jungen und Mädchen war einfach zu tief, man musste sie in getrennten Welten halten, was ein Problem werden könnte, wenn Samantha älter wurde. Gegenüber den Torres-Thompsons wohnte die Familie Smith-Marshall, deren zwei Söhne ungefähr im gleichen Alter waren wie Brandon und Keenan, wegen ihres aggressiven Verhaltens aber unter heftigen Psychopharmaka standen. Maureen schauderte schon, wenn sie nur daran dachte, wie sie einmal die Wohnung der Smith-Marshalls betreten hatte. »In dieser Familie gehen ungute Dinge vor«, hatte sie zu ihrem Mann gesagt. »So verrückt wie die Mutter wird man nur, wenn man zu viele von den kleinen pastellfarbenen Pillen schluckt.« Maureen war ganz allgemein abgestoßen von der Oberflächlichkeit der Laguna Rancho Estates, vom Trend zur plastischen Chirurgie, der das Viertel als Modewelle durchzog, so wie man sich in der Kleinstadt, in der sie aufgewachsen war, früher einen
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