In den Häusern der Barbaren
»Grundmaterialien«, am unteren Rand der Seite die erschreckend hohe Gesamtsumme. Das dritte und letzte Blatt war eine Zeichnung des Kakteengartens, wie er sich von den Schiebetüren ihres Hauses aus darstellen würde. Rechts würden die Kolben eines kleinen Orgelpfeifenkaktus aufragen und einen Fixpunkt der Komposition bilden, der den Blick weiter nach links lenkte, zu der Gruppe Kugelkakteen, den Mesquitesträuchern und schließlich den großen Yuccapalmen, die blühende Seitenarme haben würden wie mannshohe Blumen. Als Maureen die Zahlen auf dem kleinsten Blatt sah, zuckte sie zusammen, sie spürte, wie ihr der Traum von dem Garten entglitt, wie die Graphitkörner der Bleistsiftzeichnung in der weißen Leere des Papiers verschwanden. Dann fiel ihr die Argumentation wieder ein, die sie ihrem Mann präsentieren wollte, die Logik, die den Garten Wirklichkeit werden lassen würde, die Worte, welche die Gärtnerin so nüchtern ausgesprochen hatte, weil die Aussage so selbstverständlich war: »Ich weiß, das sieht ein bisschen viel aus. Aber letztendlich werden Sie jedes Jahr eine Menge Geld an Wasser sparen und noch mehr an Gärtnerkosten. So einen Garten, den pflanzt man einfach an, und dann kann man ihn vergessen. Vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr jätet man ein bisschen Unkraut, aber sonst stellt man sich bloß hin und guckt, wie hübsch er aussieht.«
Die Zeichnung des Gartens sah aus wie ein Wüstendiorama, und Maureen stellte sich die traumartige Szenerie eines alten Naturkundemuseums vor, in dem man aus einem verdunkelten Raum heraus durch ein Fenster in eine andere, hell erleuchtete Welt blickte. Der Kakteengarten würde die Illusion kreieren, dass ihr Haus das Tor zur unberührten Landschaft des alten Südkaliforniens sei. Nur Scott und sein Taschenrechner standen noch zwischen Maureen und der Verwirklichung des Dioramas. Um dieses Hindernis zu überwinden, konnte sie den beschleunigten Niedergang des derzeitigen Gartens heranziehen: Bald schon würde er aussehen wie ein vertrockneter Haufen Rindenmulch oder ein von kapitalistischen Bauern zerstörtes Stück brasilianischer Regenwald. Sie konnte ihren Mann mit Argumenten zu überzeugen versuchen, oder sie konnte die Sache einfach selbst in die Hand nehmen – wie sie es auch bei anderen Haushaltsproblemen getan hatte – und ihm ein recht kostspieliges Fait accompli präsentieren. Er würde wütend werden, und dann würde er die Rechnung bezahlen, einfach weil er das noch immer getan hatte.
7 Jedes zweite Wochenende vollzog die Familie Torres-Thompson ein strenges Ritual: den vorübergehenden Verzicht auf den Hauptluxus in ihrem Leben. Es war Maureens Idee gewesen, vor vielen Jahren, als die Hausangestellte noch eine Neuerung war. Sie würden sich an ihre Vergangenheit als Selbstversorger erinnern und achtundvierzig Stunden lang selbst kochen, selbst abwaschen, selbst die Betten machen. Maureen hatte sich das dienstbotenfreie Wochenende ausgedacht, nachdem ihr klar geworden war, dass Araceli von sich aus keine freien Tage erwartete, dass sie zufrieden damit war, ihre Wochenenden hinten im Gästehaus zu verbringen und auch am Samstag und Sonntag ins Haupthaus zu kommen, um die Mahlzeiten zuzubereiten und abzuwaschen, nur mit etwas weniger Elan als unter der Woche. »Wenn Sie wollen, wäre es vielleicht ganz gut, wenn Sie sich alle zwei Wochen zwei Tage lang freinehmen«, hatte Maureen zu Araceli gesagt. »Und das Haus einmal wirklich verlassen, verstehen Sie? Aber nur, wenn Sie wollen.« In Mexiko war es nicht üblich, dass Chefs ihre Angestellten zwischen zwei Alternativen wählen ließen; uneindeutige Anfragen wie diese dienten lediglich dazu, das unangenehme Gefühl zu vermeiden, das mit einer direkten Anweisung verbunden war. Und deshalb betrachtete Araceli den Vorschlag als Befehl.
Ihre Ausflüge alle zwei Wochen führten sie ins Haus einer Freundin in Santa Ana, eine Stunde entfernt mit dem Bus und zu Fuß. Nach einiger Zeit hatte Araceli Gefallen an der Regelung gefunden, die sie aus dem Torres-Thompson-Universum hinaus in die mexikanischeren Gegenden des Barrios von Santa Ana brachten. An diesem Samstag ging sie am Esszimmer vorbei, um sich von Maureen zu verabschieden, und fand ihre patrona auf Händen und Knien vor mehreren Zeitungsblättern, die auf den Bodenfliesen ausgebreitet waren. Sie versuchte ihre Söhne für ein morgendliches Kunstprojekt zu begeistern, für das sie drei faustgroße Klumpen Modellierton bereitgestellt hatte. Keenan
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