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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Gegend«, sagte Juana, die schief geschnittene, ölig glänzende Ponyfransen und die kaffeebraune Haut ihrer Vorfahren aus den Bergen von Veracruz hatte. »Hier wird jede Nacht sauber gemacht. Und die Polizei fährt Streife, darum sieht man kaum Obdachlose.«
    Als die Frauen sich am Spielplatz versammelten, dachte Araceli mit flüchtiger Nostalgie an die Gespräche und die kollegiale Gemeinschaft, die sie mit Pepe und Guadalupe verbunden hatte. Die Frauen erzählten von ihren Familien und den amerikanischen Häusern, in denen sie arbeiteten und lebten, und behielten gleichzeitig mit einem Auge ihre Schutzbefohlenen im Blick, die auf dem Klettergerüst herumschwärmten und die Umgebung mit dem Kreischen und Quieken erfüllten, das die Eltern ihre »Draußenstimmen« nannten. Carmelita saß wenige Schritte von Araceli entfernt auf der Gummimatte und ließ den kleinen Jungen, den sie versorgte, auf seinen Lederschuhen stehen, ein paar Schritte gehen und dann in ihre Arme fallen. Modesta, eine sommersprossige Mexikanerin mit grünen Augen, drohte einem Mädchen mit dem Finger, das gerade aufs Dach des Plastikwürfels kletterte, und das Mädchen kletterte sofort wieder rückwärts herunter. Sie hatten alle selbst Kinder (María Isabel sogar schon Enkel), und ihre mütterliche Selbstsicherheit senkte sich über die Kinder und beruhigte sie wie ein Regen warmer Milch. Nachdem sie mit der Begrüßung Aracelis und der Vorstellung fertig waren, wandte sich das Gespräch wie so oft zu den praktischen Problemen der Kinderpflege.
    »Das ist ein guter Platz hier zum Laufenlernen. Wenn er hinfällt, kann er sich nicht wehtun.«
    »Wenn man sie nicht auch mal hinfallen lässt, lernen sie das Laufen nicht.«
    »Ich weiß noch, wie Kylie in dem Alter war. Es una edad de peligros: Sie fallen genauso viel hin, wie sie plappern. Sie hat immer noch diese Narbe auf der Stirn, unterm Haaransatz.«
    Araceli sah und hörte zu, sah die Kinder auf dem Klettergerüst, die ihren bezahlten Aufpasserinnen Blicke zuwarfen, welche diese erwiderten, als wollten sie sagen: Alles okay, ich bin hier. Diese Frauen wussten, jedes Kind war eine ganz eigene, sich verändernde Landschaft – vielleicht, weil Östrogen in ihren Adern floss oder weil sie selbst Mütter waren: Araceli spürte, dass ihre nordamerikanischen Arbeitgeber sie ebenso wie ihre lateinamerikanischen Verwandten wegen genau dieser Souveränität verehrten. Sie scheinen alle gewisse Fähigkeiten zu haben – und etwas zu wissen, was ich nicht weiß.
    Nach einer Weile wandten sie ihre Aufmerksamkeit wieder Araceli zu, der stillen, unsicheren Frau in ihrer Mitte, dem kleinen Geheimnis und der Abwechslung, die sie darstellte. Was, so fragten sie jetzt direkt, war mit Guadalupe passiert?
    »Ich glaube, sie hatten nicht genug Geld, um ihr zu zahlen, was sie haben wollte«, sagte Araceli. »Oder um sie überhaupt zu behalten.«
    »Oder sie wollte nicht bleiben«, meinte María Isabel vielsagend.
    »No sé.«
    »Ja, ich erinnere mich, sie hat vom Geld gesprochen«, sagte María Isabel. »Zuerst hat man sie gebeten, für weniger Geld zu arbeiten. Dann hat ihr patrón gesagt, sie bräuchten nur noch eine Angestellte für die Küche und den Haushalt und die Kinder zusammen. Für alles. Guadalupe meinte, das sei zu viel Arbeit für eine Person. Und sie würde es nicht tun, selbst wenn man sie fragen würde. Und da haben sie wohl dich angeheuert.«
    Araceli sagte nichts.
    »Weißt du, wo sie hin ist?«
    »Nein.«
    Plötzlich sah die Neue verblüfft und erregt aus. Jetzt fiel Araceli auf, dass die gesamte Situation im Paseo Linda Bonita sich schon verändert hatte, bevor Guadalupe gegangen war: Berechnungen wurden angestellt, Beratungen abgehalten. Araceli war fleißiger als Guadalupe, sie war unendlich viel verlässlicher, aber sie plauderte nicht mit ihren Arbeitgebern oder tat freundlich mit ihnen, und darum hatten sie ihre Notlage nur Guadalupe enthüllt, der flatterhaften, redseligen Guadalupe. Es war ihnen nicht mal in den Sinn gekommen, Araceli zu fragen, was sie davon hielt, sondern sie hatten ihr einfach mehr Arbeit aufgebürdet. Araceli sah ihren Platz in der Welt mit neuer und erschreckender Klarheit. Sie wohnte bei englischsprachigen Fremden, hoch oben auf dem Hügel, allein mit den riesigen Fenstern und dem Geruch von Lösungsmitteln, und ihr fehlte der Wille, dem allen zu entfliehen. Sie akzeptierte still das Geld und das Zimmer der Torres-Thompsons, und die fühlten sich daraufhin

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