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In den Klauen des Bösen

In den Klauen des Bösen

Titel: In den Klauen des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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Angst. Und sie ist verwirrt.« Er beugte sich vor und senkte die Stimme. »Sie glaubt, man würde sie einsperren, weil sie verrückt ist. Sie behauptet, dass sie von niemandem geliebt wird und dass sie das auch gar nicht wundert.« Er schaute weg und musste sich zwingen, den Andersens klar in die Augen zu sehen. »Sie hat gesagt, sie sei bereits tot, sie sei schon immer tot gewesen, und sie wollte einfach nicht mehr so tun, als ob sie am Leben sei.«
    Mary und Ted waren entsetzt. Am Ende fragte Ted: »Was können wir für sie tun?«
    »Beweisen Sie ihr, dass sie sich irrt«, entgegnete Dr. Hartman.

2
     
    Beim ersten Läuten drehte Carl Andersen sich stöhnend auf die andere Seite; beim zweiten Klingeln des Telefons wurde er hellwach. Als er sich aufsetzte, spürte er einen Schmerz in der Hüfte. Er nahm den Hörer ab und schaute zur Uhr auf dem Nachttisch.
    Halb sieben.
    Er sollte inzwischen eigentlich längst angezogen mit der Zeitung in der Hand am Frühstückstisch sitzen. »Anderson.« Er nannte nur seinen Namen, mit einstudiert monotoner Stimme, die dem Anrufer keinerlei Hinweis auf seine Stimmung geben konnte; denn wie Carl vor langer Zeit gelernt hatte, konnte man am allerwenigsten dann manipuliert werden, wenn der Anrufer keine Ahnung hatte, wie man sich fühlte. Als er jetzt aber von seinem Sohn erfuhr, was sich in der Nacht ereignet hatte, war die Monotonie seiner Stimme sofort verschwunden. »O Gott«, stöhnte er. »Wird sie durchkommen?«
    »Nach Meinung des Arztes ist sie in ein paar Wochen geheilt«, erwiderte Ted. »Jedenfalls die Schnittwunden.«
    Carl runzelte die Stirn; sein Blick wanderte zum Bilderrahmen auf der Ankleide: die Enkelin zwischen Sohn und Schwiegertochter. Er hatte das Bild, ein Weihnachtsgeschenk, Hunderte von Malen betrachtet, und am längsten hatte sein Blick jedesmal auf Kelly verweilt, auf dem von rosaroten Locken umrahmten Gesicht, das durch den Kontrast der schwarzen Kleidung noch bleicher wirkte.
    Was sein Augenmerk stets besonders fesselte, waren jedoch die Augen, die irgendwie ausdruckslos und leer schienen, als ob sie an nichts in der Welt Interesse finden könnten. Da war kein Funke von Neugier, nicht einmal Feindseligkeit.
    Nur eine merkwürdige Trägheit.
    Teds Stimme unterbrach Carl in seiner Grübelei. »Vater? Bist du noch da?«
    »Ich bin hier«, entgegnete Carl, dessen Blick noch immer auf dem Bild ruhte. »Kann ich etwas für euch tun?«
    Da war es an Ted zu schweigen, und als er schließlich das Wort ergriff, war eine gewisse Zurückhaltung hörbar. »Diese Stelle, über die wir im letzten Monat sprachen«, sagte er, »ist die noch immer frei?«
    Carl war überrascht. »Und was sagt Mary dazu? Du weißt doch, wie sie über Villejeune denkt.«
    »Das war vergangenen Monat«, erklärte Ted. »Nach dem Vorfall gestern abend...« Dass er den Satz nicht zu Ende brachte, erinnerte Carl an die Schwierigkeit, die er in allen Gesprächen mit seinem Sohn erlebte. Seit Bessies Tod durch Krebs hatten sein Sohn und er in einer ganz eigenartigen Schweigsamkeit zusammengelebt und -gearbeitet - wenn es Arbeit gab -, aber kaum über persönliche Dinge gesprochen. Doch Ted war immerhin bei ihm, seine Gegenwart ein Trost gewesen. Einsamkeit hatte Carl erst kennengelernt, als sein Sohn Mary geheiratet hatte und nach Atlanta gezogen war. Vor fünf Jahren hatte sich in Villejeune dann plötzlich viel getan und sein bis dahin mühsames Baugeschäft zu florieren begonnen.
    Mit dem Erfolg hatte sein Versuch eingesetzt, Ted nach Villejeune zurückzulocken, ein Versuch, der bislang nichts gefruchtet hatte. Mary hatte am Tag des Umzugs geschworen, nie nach Villejeune zurückzukehren. Sie hatte die Stadt gehasst, das Moor und alles gehasst, was damit zusammenhing. Sie hatte Ted nur unter der Bedingung geheiratet, dass sie wegzogen. Und dabei war sie geblieben. Offenbar hatte sie nun ihre Meinung geändert.
    »Die Stelle wartet«, sagte Carl, »ich habe eine Menge Arbeit, und mir fehlen Männer, die ihr Handwerk verstehen.« Dann wiederholte er aber noch einmal seine erste Frage. »Ist Mary wirklich einverstanden, Ted?«
    Carl konnte die Spannung in der Stimme hören, als Ted erwiderte: »Begeistert ist sie nicht gerade. Aber sieh mal, Vater«, und dann redete er in einem Tempo los, als habe er Angst, die Worte sonst vielleicht nicht aus sich herauszukriegen, »ich bin schon seit einiger Zeit arbeitslos. Außerdem hat Kelly hier Umgang mit problematischen Jugendlichen - also, wir müssen

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