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In den Klauen des Bösen

In den Klauen des Bösen

Titel: In den Klauen des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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suchte nach einem Weg. Hier sah alles gleich aus.
    Der Boden unter ihren Füßen wurde weicher - bis Wasser in ihre Schuhe drang.
    Sie kehrte um, suchte nach dem Weg, den sie gekommen war, doch wohin sie sich auch wandte, blieb alles gleich, und je länger sie lief, desto tiefer wurde das Wasser.
    Es reichte ihr bis an die Knöchel, als sie aus einem Mangrovengebüsch trat. Sie stand am Ufer der Insel. Lange schaute sie auf den Wasserarm und versuchte seine Tiefe zu schätzen. Das gegenüberliegende Ufer schien höher. Dort würde sie vermutlich wenigstens nicht im Wasser waten müssen.
    Sie brach einen Mangrovenast ab, mit dem sie sich durch das Bayou tastete, das in der Mitte knietief war; da stieg der Grund plötzlich steil an. Am Ende befand sie sich auf festem Boden.
    Sie wartete. Horchte. Ob ihr Vater wieder nach ihr riefe? Aber sie hörte nichts. Sie begann weiterzulaufen, auf der Suche nach einem Pfad.
    Und dann wusste sie einfach nicht mehr, wie lange sie schon in den Sümpfen herumgelaufen war, und blieb erneut stehen, um zu lauschen.
    Diesmal hörte sie etwas.
    Es war zunächst kaum vernehmbar, nur ein schwaches Rascheln in einem Dickicht von Kohlpalmen und Riedgras. Das nächste Mal klang es schon lauter - es kam näher.
    Kelly begann das Herz zu klopfen, die Brust schnürte sich ihr zusammen, Angst stieg in ihr hoch.
    »H... Hallo?« fragte sie. Ihre Stimme zitterte.
    Im Moment ihres Sprechens endete das Surren der Insekten.
    Die Stille wurde unheimlich.
    Ihr war, als würde sie beobachtet.
    Sie konnte die hohle Stille nicht länger ertragen. »Wer ist dort?« fragte sie. »Ich weiß, dass dort jemand ist.«
    Schweigen. Und wieder ein Rascheln, noch näher. Sie meinte, Atmen zu hören.
    »Ich hab’ keine Angst vor dir«, rief sie, doch die eigene Stimme wirkte schwach und dünn, wie von einem verängstigten Tier. Sie nahm den Stock fester in die Hand.
    Nach einem neuen Rascheln sah sie ein Paar glitzernder Augen im Dunkel. Gleichzeitig hörte sie leises Schnauben.
    Ein Wildschwein.
    Es trat aus dem Dickicht hervor, mit gesenktem Kopf und glänzenden Stoßzähnen. Die Augen über den Stoßzähnen waren fix auf sie gerichtet. Kelly hämmerte das Herz, als der Eber drohend prustete und mit den großen Hufen schabte.
    Sie sah sich nach einem Versteck um, nach einem Baum, den sie hochklettern könnte. Sie sah nur niedrige Kohlpalmen und Riedgras in der Nähe.
    Der Kopf des Ebers schwang hin und her. Sie ahnte den bevorstehenden Angriff. »Nein!« schrie sie plötzlich und stürzte dem riesigen Tier mit hocherhobenem Stock entgegen. Der überraschte Eber stand für einen Moment wie erstarrt. Da hatte Kelly ihn bereits erwischt. Ihr Stock traf den Eber auf der Schnauze.
    Das Wildschwein grölte vor Schmerz, rauschte durch die Kohlpalmen und verschwand im Unterholz. Kellys Aufschrei und das Schmerzgeheul des Ebers schreckten Vögel im Laubwerk, die sich aufgeregt in die Lüfte erhoben und über ihr kreisten, um sich bald wieder auf ihren Nistplätzen niederzulassen, wo sie sich allmählich beruhigten. Das Zirpen der Insekten setzte wieder ein.
    Da beruhigten sich auch Kellys Puls und Atem. Von dem Eber war nichts mehr zu hören. Sie spähte ins Dunkel hinein, doch die Bäume, die Bayous, die Inseln - alles ein Einerlei.
    Sie spürte, wie die eisigen Finger der Angst erneut nach ihr griffen. Sie sprach sich Mut zu. Diesmal wollte sie der Angst nicht nachgeben.
    Sie war vorher bereits zweimal im Moor gewesen.
    Beide Male hatte sie keinerlei Angst empfunden.
    Aber es war diesmal nicht dasselbe.
    Am Abend, als sie allein ins Moor gekommen war, und in der Nacht, als sie mit Michael zusammen gewesen war, hatte sie einen Ton vernommen, einen schwachen Gesang, der sich über das monotone Gesurr der Insekten erhoben hatte, ein Lied, ein Signal, das ihr gegolten, sie gerufen hatte.
    Heute nacht war dieser Ton nicht zu hören.
    Heut nacht war sie ganz allein.
    Nein! befahl sie sich, als die Angst zurückkehrte. Ich werde es schaffen, ich laufe weiter, ich finde einen Weg hinaus!
    Sie glaubte den eigenen Worten nicht.
    Im tiefsten Innern war sie sich keineswegs sicher, ob sie je wieder herauskommen würde.

17
     
    Michael stellte den Motor ab und ließ das Boot still durch den Bayou gleiten. Er richtete die Taschenlampe auf das Laubwerk. Insekten flogen flimmernd in den Lichtschein hinein und auf die künstliche Sonne zu, bis Michael das dichte Schwärmen zuviel wurde. Er knipste die Lampe aus.
    »Kelly!« rief er.

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