In den Klauen des Bösen
vielleicht sogar bis zum Morgen nicht mehr herkommen.
Er wechselte wieder in seine schlammverkrusteten Hosen und schlich mit seiner Waffe auf die Veranda.
Draußen glaubte er, die Nähe der spähenden, lauernden Kinder von neuem zu spüren.
Er machte sich die Verrücktheit dieser Vorstellung klar - falls die Kinder sich dort befänden, hätte der Suchtrupp sie doch bemerkt.
Möglich.
Vielleicht auch nicht.
Er kannte die Kinder des Moores, kannte sie gut. Sie bewegten sich frei und - wenn sie nicht gesehen werden wollten - unbemerkt durch die Sumpflandschaft.
Er suchte die Umgebung ab.
Nichts.
Er ließ sich auf dem Boden der Veranda nieder und ins Wasser gleiten. Es reichte ihm bis an die Hüften; seine nackten Füße versanken im Schlamm. Er umklammerte sein bereits entsichertes Gewehr und ging auf das Mangroven-Dickicht zu.
Und da war ihm, als sähe er überall Augen in den Bäumen, Augen, die von oben auf ihn herabschauten, von Zweigen, die sich wie dünne Skelettarme nach ihm ausstreckten; Augen, die ihn aus dem Wasser heraus anstarrten. Er sah George Coulton auf dem Rücken liegen, mit einer großen Wunde auf der Brust, und leeren Blicks nach oben stieren.
Bei der Erinnerung schauderte ihm. Er ging schneller. Doch jetzt schien das Wasser ihn verschlingen zu wollen. Ihm war wie in einem Alptraum zumute.
Im Mangrovendickicht hievte er sich mit pochendem Herz und fliegendem Atem ins Boot. Er lehnte sich gegen das Dollbord und wartete, bis die Erschöpfung nachließ. Schließlich zog er sich auf die Bank hoch, band die Bootsleine von der Mangrovenwurzel los, legte die Ruder ein, steuerte das Boot aus dem Dickicht heraus - und erstarrte.
Nicht mehr als drei Meter entfernt saß in einem anderen Boot eine schweigende Gestalt, die ihn beobachtete.
Jonas.
Judd Duval ließ die Ruder los und griff nach dem Gewehr auf der Bank neben ihm. Doch als die Finger sich um den Hahn spannten, klang vom anderen Boot ein hohles Lachen herüber.
»Kannst mich nich’ töten, Judd«, sagte Jonas leise, doch mit erschreckender Klarheit. »Hastes vergessen? Bin längst tot.« Nach einer Pause sprach Jonas erneut. »Aber ich hol’ dich, Judd. Bald. Ganz bald.«
Und nach erneutem Gelächter entschwand das Boot spurlos in der Dunkelheit, als ob es nie dagewesen wäre.
Judd erschrak noch einmal. Das Gewehr entglitt seiner Hand. Er griff nach den Rudern. Die hundert Meter bis zu seiner Hütte kamen ihm endlos vor. Drinnen machte er sofort Licht. Von der Dunkelheit wollte er in dieser Nacht nichts mehr wissen.
Kelly blieb stehen und horchte.
Sie wusste nicht, wie lange sie sich nun schon im Moor befand. In den ersten Minuten der Flucht vor den ätzenden Worten des Vaters hatte sie überhaupt nicht auf die Richtung geachtet. Sie war über das Feld gerannt, zum Kanal; plötzlich hatte sie nach rechts hin die Brücke bemerkt. Sie hatte die Rufe des Vaters gehört, aber nicht geantwortet, sondern Kurs auf die Brücke genommen, gezögert in ihrer Unsicherheit, ob sie die Brücke überqueren und wirklich weiterlaufen sollte, in die Wildnis hinein, doch als der Vater ihr dann noch immer schreiend nachgelaufen kam, hatte sie nicht mehr überlegt.
Auf der anderen Seite der Brücke lag der Sumpf; dort würde sie ihm im Nu entkommen; und so lief sie über die Brücke und stürmte in die Wildnis, als ihre Füße einen schmalen Pfad fanden, der sich durch das niedrige Buschwerk schlängelte.
Zehn Meter hinter der Brücke war sie stehengeblieben; sie musste ihren ganzen Willen aufbringen, um ihren fliegenden Atem wieder zu beruhigen. Sie hörte die Schritte des Vaters auf den Holzplanken der Brücke; hörte das Rufen seiner Stimme - sie klang weniger zornig als im Truck. Es hörte sich fast so an, als hätte er Angst.
Wie würde er sich aber verhalten, falls sie zurückginge? Er würde nur noch wütender sein. Und deshalb hatte sie sich nicht gemeldet und nicht von der Stelle gerührt, aus Angst, dass das Rascheln der Kohlpalmen sie verraten könnte.
Es schien eine Ewigkeit, bis endlich sein Rufen aufhörte und der Track davonfuhr. Ob er heimgefahren war?
Sie hatte sich tiefer in die Wildnis hineingewagt auf dem Pfad, der sich irgendwann einmal verlief, und sich dann durch das Gebüsch gedrückt - immer in der Richtung des geringsten Widerstands. Irgendwie hatte das eine Zeitlang sogar Spaß gemacht, das Alleinsein im Dunkel.
Aber dann hatte die totale Nacht ringsum ihr allmählich Angst eingejagt.
Sie war rascher gegangen. Sie
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