In den Klauen des Bösen
runzelte die Stirn. »Womit sagen wollen? Ich... es tut mir leid...«
»Was soll das bedeuten, dass Ihre Tochter vielleicht gar nicht gefunden werden will, Mrs. Anderson?«
Mary schloss die Augen und hielt sich am Telefontisch fest. »Ich... Sie...«
In dem drückenden Schweigen meldete sich Carl Anderson zu Wort. »Meine Enkeltochter hatte vor ein paar Wochen persönliche Probleme. Sie war sehr unglücklich und hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Aber die Sache ist längst überwunden.«
Kitteridge wandte sich mit finsterem Gesicht an Ted. »Ich muss wissen, was vorgefallen ist. Ist Ihre Tochter bloß spontan ausgerissen?«
Ted konnte seinem Blick nicht standhalten. Stockend begann er zu berichten. Das Ärgste überging er. »Sie war verstört, weil sie von der Polizei aufgegriffen worden war«, schloss er, aber da mischte Mary sich ein, mit einer Mordswut auf ihren Mann.
»Damit hatte es überhaupt nichts zu tun, Ted! Du trägst die Verantwortung! Weil du die Selbstbeherrschung verloren hast!« Sie richtete den Blick auf Kitteridge. »Er hat ihr erklärt, dass sie verrückt ist.« Ihre Stimme bebte. »Er hat ihr gesagt... Mein Gott, ich weiß es nicht. Spielt das jetzt noch eine Rolle? Finden Sie sie.« Und schluchzend sank sie auf einem Stuhl zusammen und verbarg das Gesicht in den Händen. »Bitte... Suchen Sie...«
»Ich komme mit, Dad«, sagte Michael mit einer ruhigen Entschlossenheit, die Craig Sheffield bei seinem Sohn ganz neu war. Craig war Minuten zuvor heimgekommen und wollte mit Barbara zu den Andersens fahren, als Michael in der Küche erschienen war.
»Du bleibst zu Hause«, befahl Craig. »Du paßt auf deine Schwester auf. Sie ist zu klein, um allein hier zu bleiben, und deine Mutter muss Mary Anderson trösten.«
Michael blieb stur. »Mutter soll Jenny mitnehmen. Keiner von euch kennt sich im Moor so gut aus wie ich. Außerdem fühle ich mich dafür verantwortlich, dass Kelly ins Moor geflohen ist. Wenn ich mich nicht mit Buddy geschlagen hätte, wäre das nie geschehen.«
»Soll ich dich für deine Verantwortungslosigkeit auch noch mit der Erlaubnis belohnen, nachts im Moor herumstreunen zu dürfen!« Craig gab sich Mühe, sarkastisch zu klingen.
Michael ignorierte den spöttischen Ton. »Ich kann helfen, Vater! Ich weiß dort Bescheid.«
Und Barbara, von der Craig sich Unterstützung erhoffte, gab Michael recht. »Er ist doch im Moor wie zu Hause, Craig. Er hat sich dort noch nie verirrt. Ich hole Jenny.«
Während des Wartens ließ Craig, noch immer nicht gänzlich überzeugt, sich alles noch einmal durch den Kopf gehen. »Also gut«, meinte er schließlich. »Aber nur unter einer Bedingung. Du gehst nicht allein. Und du bleibst immer in Sichtkontakt mit einem von uns! Abgemacht?«
Michael nickte. Als Barbara mit Jenny auftauchte, die zwar angezogen war, sich aber noch den Schlaf aus den Augen rieb, hatte er zwei Taschenlampen mit Reservebatterien und Seile besorgt. »Kelly könnte an einer Stelle im Schlamm steckengeblieben sein«, meinte er, »die wir mit dem Boot und zu Fuß unmittelbar nicht erreichen können«, erklärte er seinem Vater.
»Wer?« fragte Jenny, die plötzlich hellwach wurde.
»Es geht um Kelly, mein Schatz«, sagte Barbara. »Sie ist im Moor spazierengegangen, und jetzt geht man sie suchen.«
Jenny bekam große Augen. »Hat sie den Weg verloren?«
Barbara sah keinen Grund, Jenny die Wahrheit zu verschweigen. »So ist es. Das ist ja auch der Grund, warum du nicht allein ins Moor gehen sollst.« Sie sah sich nach Craig um. »Sind wir soweit?«
Sie verließen das Haus durch den Hintereingang. Am Kanal stieg Michael ins Ruderboot mit dem Außenbordmotor, während Eltern und Schwester das Wohnboot benutzten. Nach Überprüfung des Benzinstands, holte Michael sich noch rasch einen Reservekanister aus der Garage; der Motor des Wohnboots tuckerte bereits gleichmäßig, als er den Kanister unter der Bank verstaute. »Wir treffen uns bei den Andersons!« rief Michael, als sein Vater das Wohnboot auf die Mitte des Kanals steuerte.
»Wir warten auf dich!« rief Craig zurück und stellte den Motor auf Leerlauf, bis Michael sein Dory aus dem Dock manövriert hatte.
Fünf Minuten später legten sie mit zwei weiteren Booten, die aus Seitenkanälen zu ihnen gestoßen waren, bei den Andersons an, wo bereits drei Boote eingetroffen waren.
Drinnen organisierte Tim Kitteridge die Suche. Mary Anderson saß bleich und mit rot umränderten Augen auf der Couch. Sie
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