In den Klauen des Bösen
nicht, sich zum Ausruhen hinzusetzen; denn beim letzten Versuch war mit einem verschreckten Japser ein Tier aufgesprungen. Sie war unentwegt weitergelaufen. Jetzt aber sah sie am Himmel ein schwaches Leuchten.
Villejeune!
Sie lief schneller. Das Leuchten wurde zusehends heller. Kelly wurde euphorisch - noch ein paar Minuten, dann hätte sie’s hinter sich, hinter dem Dickicht aus Buschwerk und Riedgras müsste der Kanal liegen, und am anderen Ufer Villejeune.
Es war aber nur der Mond, der im Osten aufging.
Wieder die Angst. »Bitte!« schrie sie. »Kann mich denn keiner hören!?«
Stille.
Wie lange war sie nun schon unterwegs? In welcher Richtung? Oder war sie immer nur im Kreis gelaufen? Sie wusste es einfach nicht.
Auf einmal hörte sie ein hohes Sirren im linken Ohr. Es brach ab - die Mücke war auf ihrer Stirn gelandet. Kelly hob die rechte Hand, schlug blitzschnell zu und wischte eine andere Mücke weg, die ihr in die Hand stach. Sie befand sich auf einmal inmitten eines ganzen Schwarms von Mücken und schlug mit den Armen um sich. Auf ihrer Haut und sogar im Haar fühlte sie überall Stiche. »Nein!« jammerte sie. »Haut ab! Laßt mich in Ruhe!« Wie Windmühlenflügel drehten sich ihre Arme zur Abwehr der angreifenden Insekten. Um ihnen zu entkommen, begann sie zu rennen. Ihr Fuß fing sich in einer Wurzel. Sie stürzte. Ein Schmerz jagte durch ihren Knöchel. Sie wartete, bis der Schmerz ein wenig nachließ, bevor sie sich aufsetzte, den Fuß aus dem Wurzelwerk zog und ihn massierte.
Da hatte sich, nur ein paar Schritte weiter, im Gras, doch etwas bewegt - sie hielt den Atem an.
Zuerst sah sie nichts, dann eine Schlange, die sich aus Grasbüscheln löste und im Mondschein, der durch die hohen Zypressen fiel, plötzlich sichtbar wurde. Ihr Kopf hob sich vom Boden. Der Rachen mit den deutlich erkennbaren Giftzähnen war weit aufgerissen. Beim Anblick des weißen Innenmauls wusste Kelly sofort Bescheid - es war eine Mokassinschlange, die sie auf ihrer nächtlichen Jagd gewittert hatte und auf die leiseste Regung angreifen würde. Kelly klopfte das Herz bis zum Hals.
Es schien eine Ewigkeit: Kelly saß im Gras, die Augen auf das Reptil gerichtet, der leiseste Muskelreflex könnte sie verraten. Die Schlange tauchte auf, tauchte unter, wand sich; die Zunge im gräßlichen weißen Maul schoß vor und zurück. Unhörbar glitt die Schlange näher, als wüsste sie inzwischen genau, wo Kelly stand.
Kelly musste sich zusammenreißen, um nicht zu schreien.
Die Schlange hielt inne, ringelte sich, kroch ein Stück weiter vor; fast hatte sie Kellys Fuß erreicht. Kelly spürte ein Erschauern. Die Schlange berührte ihre Haut. Instinktiv wollte Kelly ihren Fuß zurückziehen - da glaubte sie, eine Stimme zu hören.
Nicht bewegen! befahl ihr ein unsichtbares Wesen. Absolut stillstehen!
Die unhörbare Stimme beruhigte Kelly, so dass sie, obwohl ihr die Haare zu Berge standen, das Reptil, das ihr über den Schenkel kroch, mucksmäuschenstill im Auge behielt. Und so plötzlich, wie sie gekommen war, bewegte sich die Schlange mit ihrem dicken schwarzen Leib und dem gelben Schwanz beinah unmerklich wieder durchs Schilfgras davon.
Nach der unverhofften Entspannung klapperten Kelly die Zähne. Kelly rührte sich aber erst, als sie absolut überzeugt war, dass die Schlange sich nicht mehr in der Nähe befand. Sie probierte, ob sie auf dem verstauchten Fuß zu stehen vermochte.
Ein Schmerz schoß ihr durchs Bein, aber der Knöchel knickte nicht um, und sie tat vorsichtig einen Schritt nach vorn.
Der Schmerz ließ ein ganz klein wenig nach, und beim zweiten Schritt ging sich’s wieder ein bißchen besser. Jedenfalls konnte sie laufen!
Aber sie fürchtete von allen Seiten Gefahren. In jeder Schlinge sah sie eine Schlange; bei jedem Rascheln blieb sie vor Schreck stehen. Überall spähte sie im blassen Licht des Mondes nach Anzeichen von Tieren.
Sie arbeitete sich voran. Da - unmittelbar vor ihr, in Bodennähe: ein Paar leuchtende Augen, neben dem bald ein zweites auftauchte, ein drittes.
Ihr stockte der Atem. Sie stand wie angefroren.
Die Augen bewegten sich. Über einen vom Mond erhellten Fleck zog ein Waschbärweibchen mit zwei Jungen. Als Kelly vor Erleichterung in grelles Lachen ausbrach, sprangen die Waschbären alarmiert auf einen Baum zu und den Stamm hoch, um schließlich aus mittlerer Höhe von einem Ast auf Kelly hinunterzublicken, bevor sie sich über Astwerk davonmachten.
Da sah Kelly in der Ferne ein
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