In den Klauen des Bösen
schon?« entgegnete Judd. »Was können se denn schon machen? Im Moor nach ihr suchen geh’n - da werd’n sie se nich’ find’n. Und Sie brauchen sie doch. Ihnen fehl’n Kinder.«
Phillips Gedanken rasten.
Jenny Sheffield war erst sechs Jahre alt. Die magische Drüse war noch kaum verhärtet.
Andererseits würde die Suche nach ihr mit Sicherheit so lange weitergehen, bis man sie oder ihre Leiche gefunden hätte.
Dann fiel ihm eine Möglichkeit ein.
Wenn sie nun ihre Leiche fänden...
»Also gut«, sagte er. »Fahren Sie den Wagen in den Hinterhof und tragen Sie sie herein.«
Judd hob die verschrumpelten Hände. »Ich weiß nich’, ob ich das schaff, Doc. Ich werd’ schwächer.«
»Nun machen Sie schon«, befahl Phillips. »Ich treffe Sie dort.«
Drei Minuten später trug Judd Jenny durch den hinteren Eingang ins Haus. Sie wehrte sich immer noch. Sie schrie, aber wegen des Knebels waren die Schreie unterdrückt und unverständlich.
»Stellen Sie sie hin!« befahl Phillips. Er kniete nieder und schob eine Impfnadel in den Oberarm des Kindes. Jennys Augen weiteten sich vor Angst, doch wenige Sekunden später sank sie zu Boden, und die Augen fielen ihr zu.
Phillips durchschnitt die Nylonbänder, mit denen sie an Armen und Knöcheln gefesselt war und löste den Knebel. Er trug sie auf die Couch in der Bibliothek, schob an der Wand ein Bild beiseite und öffnete den dahinterliegenden Safe, dem er eine kleine Phiole mit einer klaren Flüssigkeit und eine neue Impfnadel entnahm, die er Judd in den Arm schob. »Legen Sie sich hin!« befahl er Duval. »Schlafen Sie ein bißchen, bis Sonnenaufgang werden Sie sich viel besser fühlen.«
Judd legte sich dankbar aufs Sofa an der Wand gegenüber von Jenny und begann die verjüngende Wirkung fast sofort zu spüren. Die Gelenkschmerzen ließen nach, das Röcheln des Atems wurde leiser. Er fühlte, wie die Jahre von ihm wichen, als die Spritze ihm, wie jedesmal, die Jugend wiedergab.
Er sank in einen friedlichen Schlaf.
19
Clarey Lambert saß mit geschlossenen Augen und ganz nach innen gerichtetem Bewusstsein, um sich auf die Kinder zu konzentrieren. Sie waren inzwischen ganz nah - sie fühlte Kelly und Jonas näherkommen; sie spürte, dass Michael ihnen folgte. Clarey war müde - es war Stunden her, seit sie die Anwesenheit von Kelly, allein und verängstigt, im Moor wahrgenommen hatte. Sie hatte versucht, Kelly zu erreichen, ihr den Rückweg zu weisen, doch in ihrer Verwirrung war Kelly für sie unerreichbar geblieben; sie hatte lediglich vermocht, Kelly von den schlimmsten Stellen, von Treibsand und Untiefen fernzuhalten, die unter scheinbar schützenden Bäumen Unwissende anlockten und wie Fallen waren.
Clarey hatte große Mühe gehabt, Kelly von der instinktiven Flucht vor der Schlange zurückzuhalten, durch innere Einflussnahme schließlich zu ruhigem Verharren gezwungen und ihr Jonas entgegengeschickt.
Jetzt waren die beiden nur noch wenige hundert Meter von Clareys Haus entfernt. Sie durfte sich entspannen. Sie öffnete ihre Augen, blinzelte in den freundlichen Schein der Öllampen und erhob sich aus dem Sessel.
Sie spürte ihr hohes Alter inzwischen in allen Knochen und fragte sich oft, wie lange sie sich wohl noch würde am Leben erhalten können, wieviel Zeit ihr noch bliebe, um über ihre Kinder zu wachen.
Gewiss, der Schwarze Mann hatte ihr ein ewiges Leben angeboten, doch sie hatte seinen Versprechungen nicht geglaubt und sein Elixier abgelehnt.
Es war lange, lange her, dass der Schwarze Mann ihr den Quell der Jugend angeboten hatte.
Sie war alt geworden; er war immer noch jung.
Er war durch das jung geblieben, was er den Kindern des Moores raubte.
Sie verstand zwar längst nicht alles, doch wozu die Nadeln dienten, die den Babys in die Brust gestochen wurden - das begriff sie schon.
»Es ist nur ein bißchen Blut«, hatte er ihr gegenüber behauptet. »Es schadet den Kindern überhaupt nicht.«
Clarey wusste es besser. Was er den Kindern raubte, war nicht bloß Blut, sondern ihre Jugend.
Ihre Jugend - und auch ihre Seele.
Clarey wusste Bescheid - sie hatte die Kinder wachsen sehen, hatte ihren leeren Blick bemerkt, hatte beobachtet, wie sie dem Schwarzen Mann zu Willen waren, ganz gleich, was er von ihnen verlangte. O nein - er nahm ihnen nicht nur Blut.
Er nahm ihnen die Essenz ihres Lebens, und damit belieferte er die Männer von Villejeune, die dafür zahlten und seine Weisungen befolgten.
Männer, die schon vor Jahren hätten
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