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In den Ruinen von Paris

In den Ruinen von Paris

Titel: In den Ruinen von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Skudder hockte zwanzig oder dreißig Meter von ihr entfernt auf den Knien und hielt sich stöhnend den linken Arm, und Net und der junge Franzose plagten sich mühsam auf, waren aber offenbar nicht ernsthaft verletzt. Auch ein Dutzend Ameisen lebte noch, doch wirkten die Insekten seltsam verwirrt, als hätten sie von einer Sekunde auf die andere vergessen, warum sie überhaupt hier waren. Nur eine einzige von ihnen machte einen zögernden Schritt in Skud-ders Richtung, dann stieß sie einen fast kläglichen Pfiff aus, drehte sich herum und stolzierte zu ihren Kameraden zurück. Charity bedeutete Gurk mit einer Geste, zu Net und dem Fremden hinüberzugehen, und wartete selbst auf Skudder, den das sonderbare Verhalten der Ameisen ebenso überraschte wie sie, denn er blickte fassungslos zu den schwarzen Kreaturen hinüber, die keinerlei Anstalten mehr machten, sich auf ihre wehrlosen Opfer zu stürzen. Erst dann machte er zögernd kehrt. »Ich verstehe das nicht«, murmelte er. »Was ... « »Ich auch nicht«, unterbrach ihn Charity. »Aber wir sollten machen, daß wir wegkommen.« Skudder warf einen letzten Blick auf die Ameisen zurück, dann nickte er hastig und beeilte sich, zusammen mit ihr zu Net und den beiden anderen zu gelangen. Als sie sie erreichten, hatten sie sich der Insel bereits bis auf knapp zwanzig Schritte genähert. Und Charity begriff, warum der junge Franzose sie hierher geführt hatte. Die Granitpfeiler waren glatt wie poliertes Glas, aber sie befanden sich jetzt unmittelbar unter der Stelle, an der sich ein Gewirr von Ranken über ihren Rand schob. Charity bemerkte zwischen den Pflanzen ein starkes Tau, das fast bis zum Flußgrund hinabreichte. Seine Farbe war so perfekt auf den Untergrund abgestimmt, daß man schon sehr genau hinsehen mußte, um es zu entdecken. Sie kramte ihre halbvergessenen Französischkenntnisse zusammen und fragte den jungen Mann: »Dort hinauf?« Der Junge sah sie überrascht an. Dann huschte ein flüchtiges Lächeln über seine Züge. »Ja«, antwortete er. »Wir müssen zur Festung, ehe sie wiederkommen.« Charity nickte; überraschenderweise verstand sie ihn, wenn er langsam sprach. Sie machte sich nichts vor. Die Ameisen würden wiederkommen, und diesmal wahrscheinlich nicht mit einem, sondern gleich mit einem Dutzend bewaffneter Schiffe. Sie erreichten den Fuß der Insel, und der junge Franzose begann sehr geschickt an dem Tau emporzuklettern. Net folgte ihm auf der .Stelle, während Skudder Charity und Gurk zweifelnd ansah. »Schafft ihr das?« fragte er. Charity nickte nur, aber Gurk widersprach energisch. »Ausgeschlossen!« ächzte er. »Da komm ich nie rauf.« Skudder seufzte ergeben - und setzte sich den Gnom wie ein Kind einfach auf die Schultern. »Halt dich fest«, befahl er. Gurk kreischte vor Entsetzen, aber Skudder begann bereits, an dem Tau emporzuklettern, so daß dem Zwerg gar nichts anderes übrigblieb, als sich mit aller Kraft festzuhalten. Charity lächelte flüchtig und warf einen letzten Blick zu den Ameisen zurück. Die Moroni hatten sich wieder am jenseitigen Flußufer gesammelt, aber sie machten weder Anstalten, hinaufzuklettern noch kehrtzumachen und ihnen vielleicht doch noch zu folgen. Sie wirkten völlig hilflos, wie Maschinen, deren Programmierung durcheinandergeraten war. Sie verscheuchte den Gedanken, griff nach dem Tau und begann, in die Höhe zu klettern. Die Leichtigkeit, mit der der junge Franzose und Skudder diesen Weg genommen hatten, täuschte. Charity mußte ihre letzten Kraftreserven mobilisieren, um sich die fünfzehn oder zwanzig Meter hinaufzuquälen. Sie hätte das letzte Stück wahrscheinlich nicht geschafft, hätte Skudder sie nicht einfach zu sich heraufgezogen. Charity fiel keuchend auf die Knie herab, rang mühsam nach Atem und preßte die Handflächen gegen den Leib. Ihre Hände brannten wie Feuer; das grobe Tau hatte ihre Haut aufgeschürft. »Kannst du gehen?« fragte Skudder besorgt. Sie zwang sich zu einem Lächeln und nickte; was nichts daran änderte, daß Skudder ihr helfen mußte, auf die Füße zu kommen. »Wir können nicht hierbleiben«, sagte der Hopi besorgt. Er sah ihren Retter an und machte eine fragende Geste. »Und wohin jetzt, du Schlaumeier?« Natürlich verstand der junge Franzose die Worte nicht. Aber er lächelte trotzdem und deutete auf einen mannshohen Schutthügel. Aus irgendeinem Grund schien er der einzige von ihnen zu sein, der keinerlei Angst hatte. Ganz im Gegenteil - er

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