In den Ruinen von Paris
wirkte fast fröhlich. »Ich bringe euch zur Festung«, sagte er. Charity sah sich suchend um. Sie erblickte nichts, was einer Festung auch nur entfernt ähnlich sah. Sie beantwortete Skudders fragenden Blick mit einem Achselzucken und trat wortlos hinter den Jungen. Hinter dem Schutthügel erhoben sich die ausgebrannten Reste einiger kleinerer Häuser. Charity nahm unwillkürlich an, daß ihr Ziel irgendwo dort lag, aber der junge Franzose steuerte zielsicher auf den unkrautüberwucherten Schutthügel zu - und als sie näher kamen, sah Charity, daß es gar keine Schutthalde war. Unter dem wuchernden Grün und Violett schimmerte Stahl. Überrascht sah sie zu, wie ihr Führer den Vorhang aus Gestrüpp und herabhängenden Ästen teilte. Dahinter kam Panzerstahl zum Vorschein. Der Junge legte die Hand auf einen roten Kreis, der in das Metall eingeätzt war, und in der Metallfläche öffnete sich eine mannshohe Tür, hinter der mildes, gelbes Licht schimmerte. »Was ist das?« fragte Skudder mißtrauisch, während der Franzose gebückt durch die Tür trat, sich herumdrehte und ihnen aufgeregt zuwinkte, ihm nachzukommen. »Ich bin nicht sicher«, antwortete Charity, »aber ich glaube, ich weiß es.« Sie war die erste, die hinter dem Franzosen durch die Tür trat. Der Raum war winzig und ziemlich niedrig und vollgestopft mit Computern, Monitoren und drei wuchtigen Schalensitzen, die fast den gesamten vorhandenen Innenraum ein-nahmen. Ein kaum hörbares, beruhigendes Summen erfüllte die Luft: Ein Großteil der Anzeigetafeln und Monitore war in Betrieb. Sie trat ein Stück zur Seite, um Skudder, Net und Gurk Platz zu machen, die sich hinter ihr durch die niedrige Tür zwängten. Der Junge berührte eine Taste an der Wand, und das Panzerschott schloß sich wieder. Dann drehte er sich mit einem triumphierenden Lächeln zu Charity um und machte eine dramatische, auf Wirkung bedachte Geste. »Willkommen in meiner Festung«, sagte er. »Festung?« Charity lächelte flüchtig, sagte aber sonst nichts, sondern sah sich gründlicher um. Sie wußte, wo sie waren. Sie hatte ein solches Fahrzeug niemals betreten, aber sie hatte genug Bilder davon gesehen. Was sie überraschte war, daß es noch existierte - und ganz offensichtlich noch funktionierte. »Was zum Teufel ist das?« fragte Skudder noch einmal. »Ein Leopard 2000«, antwortete Charity. Skudders Gesichtsausdruck wurde noch fragender. »Ein Panzer«, fügte sie rasch hinzu. »Die neueste Entwicklung der deutschen Wehrtechnik. Exklusiv für die NATO und den Export in die USA gebaut.« Charity spürte einen raschen, unangenehmen Schauer. Der Anblick dieses Panzers hätte sie mit Befriedigung erfüllen sollen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Dieses unversehrte Relikt aus einer fernen Vergangenheit erinnerte sie daran, auf welch fürchterliche Weise sich ihre Heimatwelt verändert hatte. »Ein Panzer?« vergewisserte sich Skudder. »Du meinst, so etwas wie die Tanks, die wir drüben hatten?« »Nicht im entferntesten«, antwortete Charity. »Das hier ist das Nonplusultra irdischer Technik. Das Ding kann es mit einer ganzen Ameisenarmee aufnehmen.« Skudder war noch immer verwirrt. »Du ... du meinst, dieser Panzer hat den Gleiter abgeschossen?« Charity nickte. »Das Ding ist mit einem Hundert-Megawatt Rubin-Laser bestückt«, antwortete sie. »Wenn du willst, dann kannst du den Eiffelturm damit absägen.« »Dann sind wir hier sicher?« fragte Net zögernd. Charity überlegte einen Moment. »Ich fürchte, nein«, sagte sie dann. »Ich habe keine Ahnung, wieso er nach all dieser Zeit noch funktioniert, aber ich möchte lieber nicht hier sein, wenn unsere Freunde begreifen, womit sie es zu tun haben.« Sie sah wieder den Jungen an. »Gibt es noch weitere Tanks?« fragte sie mit einer Geste, die den ganzen Innenraum einschloß. Ganz offensichtlich verstand der junge Franzose ihre Frage nicht, denn er runzelte nur die Stirn. »Ich meine«, erklärte Charity, »ist das der einzige Panzer, den ihr habt? Oder ... « »Das ist die Festung«, unterbrach der Junge. »Ich verstehe nicht, was Sie meinen.« Charity unterdrückte ein enttäuschtes Seufzen. »Ich fürchte, ich muß Sie enttäuschen«, sagte sie in gebrochenem Französisch. »Das hier ist keine Festung. Wo leben Sie? In der Freien Zone?« Der Junge nickte, und für einen ganz kurzen Moment glaubte sie, ein mißtrauisches Flackern in seinem Blick wahrzunehmen. »Was ist das für eine
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