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In den Ruinen von Paris

In den Ruinen von Paris

Titel: In den Ruinen von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Barler freundlich. »Es wird eine Weile dauern.« Charity gehorchte, während Barler nach vorn ging, um mit dem Fahrer zu sprechen. Das sanfte Rütteln des Wagens und das monotone, auf so erschreckende Weise fast vertraute Geräusch der eisernen Räder auf den Schienen begannen eine sonderbare Wirkung auf Charity auszuüben. Sie ließ sich in den zerschlissenen Kunststoffpolstern zurücksinken und bettete die Schläfe an der Scheibe, schloß die Augen und genoß das Gefühl des kühlen Glases auf der Haut, wie sie es so oft getan hatte, früher, in einem anderen, verlorenen Leben. Aber vielleicht, dachte sie, hatten sie eine zweite Chance. Vielleicht war es ihnen - nicht ihr oder Skudder, sondern den Generationen, die nach ihnen kamen, möglich, eine neue und vielleicht sogar bessere Welt aufzubauen. Möglicherweise hatten die Moroni nichts anderes getan, als eben den natürlichen Lauf der Dinge zu beschleunigen. Die Kultur des 20. Jahrhunderts war nicht die erste Zivilisation, die fast spurlos vom Antlitz dieser Welt verschwunden war. Aber vielleicht war es die letzte. Wenn es ihnen nicht gelang, die Moroni zurückzuschlagen, dann würde es keine neue Zivili sation mehr geben, die sich wie Phönix aus der Asche aus den Trümmern der Welt erhob. 
    Es war so ... unfair, dachte sie. Fünfzig Jahre später, dachte sie bitter, und sie hätten diese Bestien dorthin zurückgejagt, wo sie hergekommen waren. Lächerliche fünfzig Jahre, bei einer Welt, deren Geschichte mehr als zehn Jahrtausende zurückreichte! Das Gefühl, nicht mehr allein zu sein, ließ sie die Augen öffnen. Barler stand vor ihr, den linken Arm leicht angewinkelt, den Daumen unter den Gürtel gehakt, und blickte auf sie herab. Ein sonderbarer Ausdruck lag auf seinem Gesicht: eine Mischung aus Bewunderung und Mißtrauen, in der keine Spur von Feindschaft zu liegen schien. »Woran denken Sie?« fragte der Franzose. »An ... nichts«, sagte Charity ausweichend. »Warum?« Barler deutete ein Achselzucken an und lächelte ganz leicht. »Da war so ein sonderbarer Ausdruck auf Ihrem Gesicht«, antwortete er. »Irgendwie traurig.« Charity zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte abermals den Kopf. »Es ist nichts«, sagte sie noch einmal. Nur um das Thema zu wechseln, richtete sie sich ein wenig im Sitz auf und deutete aus dem Fenster. Jenseits der blind gewordenen Scheiben herrschte absolute Finsternis. Die Fahrt durch diesen unterirdischen, leeren Tunnel, in dem seit einem halben Jahrhundert kein Licht mehr gebrannt hatte, wurde unwirklich, fast bedrückend, wie eine Szene aus einem Alptraum. »Wie lange dauert die Fahrt noch?« Barler setzte sich und blickte ebenfalls aus dem Fenster. »Noch eine ganze Weile«, antwortete er. »Wir müssen fast ans andere Ende der Stadt.« Charity hatte irgendwie gehofft, daß er ihr sagen würde, wohin sie fuhren, aber diesen Gefallen tat er ihr nicht. Eine Weile sah sie ihn wortlos an, dann ließ sie sich wieder zurücksinken und legte erneut den Kopf gegen die Scheibe, aber diesmal ohne die Augen zu schließen. »Sie sind ein sonderbarer Mann, Barler«, sagte sie. Ihr Gegenüber sah auf. »So?« »Als ich das letzte Mal auf jemanden wie Sie getroffen bin«, sagte Charity, »wäre ich beinahe umgebracht worden. Und Skudder und die anderen auch. Sie haben uns nicht geglaubt, daß wir die sind, für die wir uns ausgeben.« »Wer sagt Ihnen, daß ich Ihnen glaube?« »Wir sind hier, oder?« antwortete Charity. »Ich meine, wenn Sie glauben würden, daß wir Spione der Moroni sind, dann wäre es ziemlich leichtsinnig von Ihnen, ganz allein mit mir in diesen Zug zu steigen. Oder halten Sie mich für harmlos, weil ich eine Frau bin?« Zu ihrer Überraschung lachte Barler leise. Charity sah ihn verwundert ah, und der Führer der Freien Zone antwortete mit einer erklärenden Geste: »Diese Frage allein beweist schon fast, daß Sie kein Spion sind, Captain Laird.« »Wieso?« Die Art, auf die er das Wort Spion betont hatte, ließ sie aufhorchen. »Wenn Sie die sind, für die Sie sich ausgeben«, antwortete Barler lächelnd, »dann habe ich nichts zu befürchten, oder? Und wenn nicht ... « Er zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie und Ihre Freunde wirklich Jäger sind, die gekommen sind, um mich umzubringen ... Nun, dann können Sie das genauso gut hier wie an jedem anderen Ort tun. Es gibt so oder so nichts, was ich dagegen unternehmen könnte.« Charity schwieg eine Weile. Die Antwort verblüffte sie.

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