In Den Schatten Lauert Der Tod -1-
Kinn. »Es kam ihm unerwartet etwas dazwischen.«
»Darauf würde ich wetten«, murmelte Connor. »Ich muss diesen Kerl überprüfen.«
»Wage es nicht!«, fuhr sie ihn an. »Wage es bloß nicht, mir das Letzte kaputt zu machen, was ich noch habe. Alles andere in meinem Leben ist den Bach runtergegangen. Meinst du nicht, dass du schon genug Schaden angerichtet hast?«
Ein grimmiger Zug legte sich um Connors Mund. Er setzte seine Tasse ab, stand auf und ging zur Tür. Sein Hinken war eine kaum wahrnehmbare, ruckartige Steifheit in seinem Bein – die ihr noch immer das Herz brach.
»Connor«, sagte sie leise. »Warte.«
Er stieß die Tür auf, dann blieb er reglos stehen.
»Es tut mir leid, dass ich das gesagt habe.« Sie stand auf und machte einen Schritt auf ihn zu. »Ich weiß, dass es nicht deine Schuld ist. Aber es war … eine wirklich harte Zeit.«
»Ja.« Er wandte sich zu ihr um und sah sie an. »Ich weiß, was du meinst.«
Es war die Wahrheit. Er wusste selbst am besten, wie hart sie gewesen war. Sie las es in seinen Augen. Er war verraten und in eine tödliche Falle gelockt worden. Er hatte seinen Partner, Jesse, verloren. Er hatte Monate seines Lebens im Koma verbracht, musste mit dem zertrümmerten Bein, den Brandnarben leben.
Connor hatte bei dieser schrecklichen Sache weit mehr verloren als sie.
Ein Impuls aus ihrem tiefsten Inneren befahl ihren Füßen weiterzugehen, bis sie direkt vor ihm stand. Sein Geruch war eine harzige, aromatische Mischung aus Seife und Tabak. Pinien, Holzrauch und Regen. Sie blickte ihm unverwandt ins Gesicht, wie sie es schon immer hatte tun wollen, und atmete seinen Duft ein. Sie registrierte jedes einzelne Detail: den Schimmer seiner Bartstoppeln, die in dem Licht, das vom Treppenhaus hereinfiel, metallisch golden funkelten, die Schatten unter seinen hellen Augen, die scharfen Konturen seiner markanten Wangenknochen. Wie konnte ein Mund nur so ernst und dabei so sinnlich sein?
Und seine durchdringenden Augen blickten geradewegs in ihre Seele. Sie verlor sich in ihnen. Sie wollte sein Gesicht berühren, mit ihren Fingern über jedes maskuline Detail streicheln, die Wärme seiner Haut spüren. Sie wollte sich an seinen schlanken, muskulösen Körper schmiegen. Sie wünschte sich, ihm etwas zu essen geben zu können, ob er nun hungrig war oder nicht.
Connor fasste hinter sich und schlug die Tür zu, ohne den Augenkontakt zu unterbrechen. Sie sehnte sich so dringend nach jemandem, der verstand, wie einsam und verloren sie sich fühlte. Ihre Mutter trieb auf einem Meer der Verzweiflung dahin. Die meisten ihrer Freunde mieden sie. Weniger aus Unfreundlichkeit denn aus purer Verlegenheit, doch das linderte ihre Einsamkeit nicht.
Connor erkannte das alles, aber ihn machte es nicht verlegen. Er wich nicht vor ihrem Blick zurück. Ebenso wenig, wie sie vor ihm zurückscheute, als er die Hände nach ihr ausstreckte.
Seine Berührung war so behutsam und liebevoll, dass sie kaum glauben konnte, dass sie wirklich passierte. Ihre Augen wurden feucht. Er wischte ihre Tränen, die mit einem Streicheln seines Daumens zu fließen begannen, fort und zog sie in die Arme.
Er drückte ihr Gesicht an den Stoff seines Mantels. Seine Hände liebkosten ihre Wirbelsäule so zart, als wäre sie aus mundgeblasenem Glas. Er barg ihren Kopf unter seinem Kinn, und sein Atem strich warm über ihren Scheitel.
Erin schloss die Augen. Er hatte sie schon früher umarmt, anlässlich ihrer Abschlussfeier, bei Partys, jedoch nie auf diese Weise. Es waren schnelle, unerotische, brüderliche Umarmungen gewesen, trotzdem hatten sie ihr Herz so heftig zum Schlagen gebracht, als wollte es ihr aus der Brust springen. Sein durchtrainierter Körper fühlte sich sehniger an, als sie in Erinnerung hatte, seine Muskeln schienen aus gehärtetem Stahl zu sein. Er schien sich zu der reinen, potenten Essenz seiner selbst verdichtet zu haben.
Sie fragte sich, ob ihr das, was sie für ihn empfand, deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Er hielt sie so vorsichtig und vibrierte dabei fast vor Anspannung. Vielleicht befürchtete er, ihre Gefühle zu verletzen oder dass sie seine freundliche Geste falsch verstehen und etwas fordern könnte, das zu geben er nicht bereit war. All die Jahre romantischer Fantasien, all die Hitze, das angestaute Verlangen, er musste es einfach fühlen. Ihr Vater hatte immer behauptet, dass Connor hellseherisch veranlagt sei.
Er begriff alles: wie einsam sie sich fühlte, wie verzweifelt.
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