In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
und blickte mir gerunzelter Stirn auf die Tischplatte vor mich hin.
» Treffen Sie mich. Ich werde allein sein. Wir müssen reden. Gehen Sie ans Fenster und blicken Sie zum Main. Sie werden dort rechts den Holbeinsteg sehen. Wir treffen uns in der Mitte der Brücke. In einer Stunde. «
Ich hielt noch einige Augenblicke den Hörer am Ohr, obwohl die Person am anderen Ende längst aufgelegt hatte.
Ich musste nicht zum Fenster gehen, denn ich saß bereits an der richtigen Stelle. So rutschte ich nur gedankenverloren von meinem Hocker und trat dicht an die große Glasscheibe. Die schmale Fußgängerbrücke sah wie eine gebogene Nadel aus, von einer Riesenhand über den Fluss gelegt. Geblendet von der trägen Abendsonne, kniff ich die Augen zusammen.
Ich stand da, mindestens zwanzig Minuten und überlegte, ob dies ein Termin war, den ich wahrnehmen sollte.
Auf den dunklen Nordfassaden der Mietshäuser leuchteten immer mehr Fenster auf, eines nach dem anderen. Hinter jedem Fenster ein Leben, manchmal mehr. Schicksale, Rätsel und Mysterien. Schmerzen, Gewalt und Hass. Hingabe, Leidenschaft und Liebe.
Die Nacht hatte begonnen.
Appendix
oder
»Das Bonus-Material«
Fragment
Ursprünglich als Einleitung geplant und später verworfen, sollte dieser Abschnitt das erste Buch als eine Art „agnostisches Bekenntnis“ eröffnen.
Über Gott werde ich hier nicht reden. Nur vom Menschen und seinen Kreaturen, den Dämonen, die ihn treiben und den Engeln, die seine heiße Stirn kühlen. Wir wissen einen Dreck über Gott. Theologie ist die Wissenschaft von Menschen für Menschen über Menschen. Sie tut so gerne, als hätte Gott einen Platz in ihren Lehren. Aber sie kann nur beschreiben, was der Mensch empfindet, was er sieht, was er schlussfolgert.
Archiv: Zeitungsausschnitt
Im 1. Teil (Kapitel 1.07 Die Cervantes-Zone) hält Jan-Marek Kámen kurz mit einer Meldung im Westend Kurier auf. Ich konnte die betreffende Zeitungsseite in einem Archiv aufspüren.
Fragment: Der Hyper-Albtraum #36
Anmerkung des Herausgebers: insgesamt vier der »Hyperalbträume« fanden Einzug in die fertige Buchreihe. Jan-Marek Kámen hatte jedoch in seiner Zeit in Hamburg insgesamt 47 solcher Albträume aufgezeichnet. Hier ein Beispiel.
Durch den Schacht fällt grelles Licht in den ansonsten dunklen Gang. Der Tunnel hat eine runde Decke und ist mit Pflastersteinen ausgelegt. Es riecht hier nach Abfällen.
„Sehen Sie die Tür?“ frage ich meinen Begleiter. Der Polizist hebt die Laterne höher und runzelte die Stirn.
„Ich werde verrückt. Die war gestern nicht da.“
Konzentriert sehe ich mir die Tür genauer an.
„Er hatte keine Zeit, sie wieder zu verstecken“, flüstere ich und befühle das benachbarte Mauerwerk. Ich reiße ein Stück harter, rauer Tapete ab, erstellt aus einem elastischen Material - vielleicht Leder oder Baumrinde.
„Unglaublich!“ ruft der Gendarm aus. „Es sieht wie ein Stück Mauer aus.“
Ich drehe vorsichtig an dem rostigen Türknopf, doch die Tür ist verschlossen.
„Wir müssen sie öffnen!“
„Er könnte dahinter sein...“
Ich ziehe den Revolver aus meiner Manteltasche und ziele auf das Schloss. Ich feuere drei mal ab. Die Tür gibt nach und öffnet sich einen Spalt. Wir atmen modrige, feuchte Luft ein.
„Ich glaube nicht, dass er da ist“, erkläre ich dem besorgten Gendarm.
„Ich werde meine Wette noch gewinnen“, sagt er mit nervöser Stimme.
„Wette?“
„Es gibt viele Wetten auf Sie“, erklärt er, als wollte er Zeit schinden, bevor wir in die Dunkelheit hinter dem Türbogen treten. „Eine Wette besagt, dass Sie Stagnatti fangen, bevor das 20. Jahrhundert anbricht...“
Ich verziehe humorlos meinen Mundwinkel.
„Dann habe ich ja nicht mehr viel Zeit.“
Wir betreten den dunklen Raum, während der Polizist sich wortlos um seine Achse dreht, bemüht den Raum zu beleuchten. Er hebt den Arm. Doch dann höre ich ihn nur aufstöhnen und im nächsten Augenblick schepperte die Lampe zu seinen Füßen. Das Öl flackert noch einige Sekunden und erlischt dann.
„Was ist passiert?“rufe ich mit gedämpfte Stimme und krame nach meinen Streichhölzern.
„Machen Sie kein Licht“, höre ich ihn flüstern.
„Ich muss aber sehen“, widerspreche ich ihm.
Ich zünde gleich drei Streichhölzer auf einmal.
Ich verstehe seinen Schock. Der Anblick ist erschreckend, doch meine Augen scheinen bereits abgestumpft zu sein, gegen das Licht, das am Horror abprallt. In dem viereckigen
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