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In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)

Titel: In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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vermittelte, dass edle Ritter, verklärt in heldenhaften Epen und Liedern der Ehre und Minne, in Wirklichkeit nur versoffene Psychopathen waren, die das Land plünderten und die Menschen ausbeuteten. Tief im Inneren wusste er es stets, denn zu oft hatte er Geschichten der Erwachsenen über Brandschatzungen und Vergewaltigungen gehört, die sich in Dörfern entlang der Küste abspielten, um noch an Artus und Lanzelot zu glauben. Und dennoch - als wäre eine Ahnung nicht genug und bedürfte einer wirklichen Erfahrung - bestrafte Gott diesen Knaben, der sich der Träumerei enthielt und weigerte an das Gute und Edle im Manne zu glauben, mit der Wahrheit.
    Es war 1438, angeblich die Nacht des ersten Frühlingstags des März, als höhere Mächte eingriffen und dem kleinen Jungen Helfer auf das Spielbrett schickten. Nachts bedeckte er sich zum Schlaf mit faulem Stroh und zwängte sich hustend in die Ecke der Zelle, um im Schatten, möglichst fern der Gitter, zu sein. Vor der Zellentür befanden sich oft schnarchende Häscher, die dort betrunken umgefallen waren und den Weg zu den eigenen Kammern nicht mehr fanden.
    Vielleicht nur eine Stunde oder zwei, bevor die Sonne aufging, füllte sich Jean-Pauls Zelle mit bläulichem Licht, das wie eine Säule kalt inmitten all der Finsternis schimmerte. Der Junge starrte das seltsame Licht vorbei an den Strohhalmen vor seinem Gesicht an. Es dauerte nicht lange und inmitten der blassen, zittrigen Lichtsäule formte sich eine Gestalt. Es war die Gestalt einer Frau.
    Für Jean-Paul bestand kein Zweifel daran, wer das war. Sie war nun seit sieben Jahren tot und sieben Jahre waren ausreichend für eine Legende. Er hatte seine Mutter Maria oft sagen hören, wie groß die Ungerechtigkeit war, die der Jungfrau von Orléans widerfahren ist. Und nun stand sie vor ihm und reichte ihm die Hand. Jean-Paul stand auf und sah in das undeutliche, schimmernde Gesicht. Er hatte keine Furcht. Denn seine Furcht starb in diesen Kerkern. Kein Schrecken mochte ihn noch aufwühlen.
    Doch er irrte sich, denn nicht ein Engel stand vor ihm, sondern ein Dämon.
    „Es ist Zeit“, sprach der Dämon und nahm seine Hand.
    Zusammen mit ihr ging er auf die vergitterte Tür zu, hielt sich jedoch vorsichtig einen halben Schritt zurück. Doch das Lichtwesen machte keinen Halt vor dem Gitter und trat durch die eisernen Stäbe, als wären sie aus Mondlicht geformt. Jean-Paul folgte ihr. Er umklammerte ihre kühle Hand und stieg ebenfalls durch das Gitter hindurch.
    „Nun musst du hinausgehen, in die Freiheit.“
    „Ich... Ich habe Angst“, flüsterte der Junge.
    „Folge den Schatten.“
    „Werde...“ Der Junge mit den großen Augen sammelte die Worte. Er hatte so lange nicht gesprochen. „Werde ich Euch wiedersehen?“
    Das Lichtwesen schien zu lächeln. Während im Raum die verkaterten Schläger des Marschalls langsam zu sich kamen, trat die unwirkliche Frau im Licht einen Schritt zurück. Ihre Gestalt begann zu verblassen und löste sich einen Augenblick später auf. Nur die bläuliche Lichtsäule blieb noch etwas länger im Raum. Der Junge streckte die Hand nach dem Licht, doch es war bereits weg. Sie hatte ihn allein gelassen, inmitten der Folterkammer, umgeben von Tieren, nur einen Schritt entfernt von jenem massiven Tisch, auf dessen grober Holzplatte seit Jahren das Blut vertrocknete.
    Nun hörte er raues Husten und verärgertes Brummen. Die Schergen des Marschalls erwachten.
    Doch er war nicht allein. Hinter jener Stelle, an der er noch Momente zuvor das Wesen, das er in seiner kindlichen Unschuld für die Jungfrau von Orléans hielt, in einer Lichtsäule verschwinden sah, standen nun fünf dunkle Gestalten, deren Gesichter er nicht erkennen konnte. Er wusste nicht, wie sie hereingekommen waren - vielleicht durch die vergitterte Tür hinter ihnen, oder durch einen Zauber der Engels.
    Als sie sich lautlos in Bewegung setzten und ihn passierten, sah er, dass es Männer und Frauen waren, doch keine Ritter, wie er sie kannte, sondern Krieger aus Märchen und Erzählungen über längst vergangene Zeiten. Im Gehen zogen sie ihre Schwerter und begannen auf die verwunderten Schläger, die sich ihnen mit Waffen oder Knüppeln in der Hand in den Weg stellten, einzuschlagen.
    Nachdem ihr Werk hier unten getan war, machten sich die Gestalten auf, die Treppe hochzusteigen. Jean-Paul erinnerte sich an die Worte der Lichtfee und beeilte sich, ihnen zu folgen. Das Gefecht in der Kammer hatte andere Häscher geweckt und so

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