In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
auch nur ein Hochstapler. Außerdem behauptet Chanfray, er sei der Graf von Saint-Germain. Ich hingegen behaupte, ihm lediglich begegnet zu sein. Das behaupten Voltaire, Casanova und Robert Clive ebenfalls. Sind das für Sie Verrückte?
Björn Randow: Nein, aber dafür sind diese Leute seit 200 Jahren tot.
Athos: Sie würde mir also mehr Glauben schenken, wenn ich tot wäre?
[Unverständliches Gelächter im Raum]
Athos: Wie auch immer. Ich wurde ein Deserteur und das war in der Armee von Friedrich dem Großen ein entsetzliches Vergehen. Doch ich konnte nicht anders. Das kleine Gerät, das von nun an leise in meiner Reisetasche vor sich wimmerte, faszinierte und zog mich an. Wie ein Magnet. Saint-Germain hatte über einen Zeitraum von fünf Jahren das Geräusch mit Hilfe von Sanduhren gemessen und kam zu dem Schluß, daß der sich wiederholende Ton im Jahr 1767 das Ende seiner Sequenz erreichen würde. Deshalb kam der Graf nach Berlin, obwohl er wußte, daß er dort nicht besonders willkommen war. Er hatte versucht sich dem Zielort zu nähern. Er hatte ausgemessen, daß 1767 die immer kürzer werdende Pause zwischen den Signalen, die zu diesem Zeitpunkt nur noch zwei Sekunden dauerte, komplett verschwunden sein würde. Der Graf erzählte mir, daß die Pausen zwischen den Signalen neun Jahre zuvor, als er dieses Gerät von einem armenischen Händler erwarb, mindestens fünfzehn Sekunden lang waren. Vier Jahre waren dann vergangen, bis Saint-Germain zufällig bemerkt hatte, daß das Signal immer schneller wurde. Wenn seine Berechnungen stimmten, blieb mir nur noch ein Jahr Zeit übrig, um das Geheimnis zu lüften. Ein Plan, der so gar nicht im Einklang mit meiner Soldateska stand. Ich war für Jahre der preußischen Armee verschrieben. Doch immerhin stellte ich fest, daß durch den Marsch nach Schlesien das Geräusch ein wenig lauter wurde.
Archiv der Lux Aeterna
VERZEICHNIS ATHOS
INTERVIEW 1979 - 3/5
Historisches Dokument Nr. 4217.463
/home/athos/log/4217.463
Björn Randow: Sie näherten sich als jenem Ort, auf den das Gerät hinwies?
Athos: Heute weiß ich, daß es geographisch nur eine geringe Annäherung war. Der Ort befand sich südlich von Berlin, wir marschierten nach Südosten. Am Ende war ich zu weit östlich.
Björn Randow: Was geschah dann...?
Athos: Ich möchte es abkürzen, da allein die Schilderung der Ereignisse, die sich während meiner Flucht ereigneten, wie auch meine dramatische Überquerung der Grenze nach Böhmen, sehr viel Zeit beanspruchen würden - doch mit unserer Geschichte nichts zu tun haben. Immerhin war ich in Böhmen nicht mehr der Gefahr ausgesetzt von der preußischen Armee als Deserteur erwischt zu werden. Stattdessen bestand eine - nicht zu geringe - Wahrscheinlichkeit, von der Königlich-Kaiserlichen Armee Österreichs als Spion aufgegriffen zu werden, was zum selben Resultat geführt hätte. Es war meinem gewissen Talent für Sprachen und Verstellung zu verdanken, daß ich einigen brenzligen Situationen entkam. Ich eignete mir sehr schnell die Kunstgriffe des Grafen Saint-Germain an und gab mich für einen italienischen Lebemann und Künstler aus. In Böhmen gab es kaum jemanden, der das angezweifelt hätte, da es seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar seit Jahrhunderten alle möglichen abgebrannten Denker, Dichter und Libertins anzog... Warum starren Sie mich so seltsam an?
Björn Randow: Es... Es tut mir leid, aber ich habe das Gefühl Baron Münchhausen zuzuhören.
Athos: Vielleicht liegt das an meiner Diktion. Deswegen versuche ich diesen ganzen Mantel-und-Degen-Teil der Geschichte knapp zu halten. Fassen wir uns also kurz... Es gehörte nicht viel dazu, herauszufinden, daß sich das Ziel in Prag befand.
Björn Randow: Prag...
Athos: Ja, sage ich doch. Prag... Ich quartierte mich dort unter einem falschen Namen ein und war zwischenzeitlich sogar im Besitz eines Geleitbriefs, den man in Böhmen germanisiert als einen „Glejt“ bezeichnete. Nach Saint-Germains Berechnung hatte ich noch mindestens zwei Monate Zeit, den genauen Ort herauszufinden. Da ich jedoch wußte, daß die Berechnungen nicht auf den Tag präzise waren, konnte ich es auch nicht riskieren, zu spät zu kommen, sondern mußte Tage, wenn nicht Wochen früher vor Ort sein, falls die Berechnung des Grafen sehr ungenau war. Was mich vor das Problem stellte, mich um Vorräte oder Nahrungsmittel zu kümmern. Ich nutzte die Zeit, um erst mal den rätselhaften Ort zu finden, auf den sich der
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