In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
Erfahrung deprimierte mich. Da hatte ich ein Fahrrad und konnte es nicht fahren. Was für ein Sinn, was für Gerechtigkeit steckte denn dahinter? War meine Freude an dem Fahrrad ein Ausdruck von Eitelkeit, die Gott bestrafen wollte? Ich fragte meinen Onkel, doch der winkte nur ab und goss sich einen Wein in das kleine Gurkenglas.
„Ach was... Gott... Das sind alles Geschichten. Wenn Gott da wäre, hätte er doch längst den Kommantschen, die ihn doch am meisten hassen, in den Arsch getreten.“
Mein Vater, der immer der konservativere der beiden Brüder war, schubste ihn tadelnd mit dem Ellbogen.
Es war nicht gerade ein hochgeistiges theologisches Gespräch, doch es führte mir das Problem vor, das ich später als die Theodizee kennenlernen sollte. Ich begann zu begreifen, dass Gott entweder nicht existiert, oder wir seine Spielregeln vollkommen falsch verstehen.
Ich muss gestehen, dass mich diese religiöse Folklore noch lange im Griff behielt. Zehn Jahre später habe ich versucht mit der kombinierten Hilfe von Konzentration und Masturbation den Zustand meines Bankkontos zu verbessern, angestiftet durch irgendein okkultes Büchlein über Aleister Crowley, das mir damals Manzio zugesteckt hatte. Der Autor des Buchs saß inzwischen wegen Kinderschändung im Gefängnis. Natürlich, als frischer Erwachsener, war ich nicht mehr beseelt durch mündliche Erzählungen über das Christkind, sondern durch den ultra-rationalen Gedanken: „Man kanns ja mal versuchen; schadet ja nicht.“
Nach diesem letzten und vollkommen erfolglosen Experiment, brach ich die Auseinandersetzung mit Gott endgültig ab. Er hatte mir nichts zu bieten und offensichtlich hatte ich ihm noch weniger zu bieten.
Erst durch Paul Lichtmann, alias Adam Kadmon, kehrte Gott und die Theodizee auf meinen Tisch zurück.
Das Problem scheinen lediglich die Monotheisten zu kennen, denn die haben nur einen Gott, dazu noch einen allmächtigen, allwissenden und allgegenwärtigen, was in der Tat die Schöpfung etwas schlampig erscheinen lässt. Die alten Griechen machten sich solche Gedanken nur selten. Ihre Götter bekriegten sich gegenseitig, leisteten sich einen Schnitzer nach dem anderen und verstanden sich darauf, alles um sie herum zu sabotieren. Damit war das Problem gelöst, denn all die unangenehmen Dinge und all die Katastrophen und Desaster spiegelten sich in den uneinigen Unternehmungen der Götter und ihrer miesen Laune.
Doch sollte es nur einen Gott geben, bleibt für viele die Frage offen, weshalb er den Holocaust zulässt, den 11. September, besoffene Ehemänner, die ihre Frauen prügeln, grausame Autounfälle, bei den kleine Kinder sterben und den Abwurf von Atombomben.
Irgendwann in dem Morgengrauen des Christentums formulierte bereits Lactanius die Worte von Epikur um und beschrieb das göttliche Paradox folgendermaßen:
ENTWEDER WILL GOTT DIE ÜBEL BESEITIGEN UND KANN ES NICHT:
DANN IST GOTT SCHWACH, WAS AUF IHN NICHT ZUTRIFFT,
ODER ER KANN ES UND WILL ES NICHT:
DANN IST GOTT MISSGÜNSTIG, WAS IHM FREMD IST,
ODER ER WILL ES NICHT UND KANN ES NICHT:
DANN IST ER SCHWACH UND MISSGÜNSTIG ZUGLEICH, ALSO NICHT GOTT,
ODER ER WILL ES UND KANN ES, WAS ALLEIN FÜR GOTT ZIEMT:
WOHER KOMMEN DANN DIE ÜBEL
UND WARUM NIMMT ER SIE NICHT HINWEG?
Viele haben versucht eine Antwort darauf zu finden. Im Buch Sohar der Juden ist das Böse eine Restspur der vorangegangenen Schöpfung, die nicht gelungen war. Doch wenn eine Schöpfung misslingen konnte, war der Schöpfer doch unmöglich allwissend. Für Leibniz, den Vater des Begriffes Theodizee war das Böse eine Beraubung des Guten. Lediglich ein Vorstoß innerhalb einer Welt, die an sich gut ist. Was immer das heißen mag.
Doch so sehr die klügsten Köpfe unserer Zivilisation versuchten eine Konkordanz zwischen dem gütigen und schwer greifbaren Gott und dem allzu gegenwärtigen Bösen in der Welt zu stiften, so sehr stolperten ihre Ideen über das selbe Problem: die Allwissenheit, die Allmächtigkeit und die Allgütigkeit.
So oder so - der Alte da oben hätte das wissen müssen.
Dieses Problem ein Leben lang zu ignorieren, ist nichts schlimmes. Nicht über die Schöpfung nachzudenken, verspricht noch immer ein gutes, fruchtbares und kurzweiliges Leben.
Doch die Schöpfung falsch aufzufassen, ist stets der Anfang vom Ende. Ein Tunnel an dessen Neige Schlachthäuser stehen und Kacheln bespritzt mit Blut.
Wenn wir wollen, dass Gott kommt und für uns ein anderes Volk auslöscht, für uns
Weitere Kostenlose Bücher