In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
dreißig Sicherungsschalter darin, fast alle grün leuchtend und nur einige rot. Einer war in der Tat abgesetzt.
Ich probierte die Tür neben mir. Sie war nicht verschlossen. Dahinter aber befand man sich bereits auf einer eisernen Galerie ohne schützende Wand, oberhalb eines weiteren, benachbarten Raums. Das Geländer aus Stahl bot nicht genug Sichtschutz und so blieb ich hinten an die Wand gepresst, im dunklen Schatten. Hauptsache, niemand aus der unteren Etage kam auf die Idee, über die eiserne Treppe hierher auf die Galerie hochzukommen.
Ich reckte meinen Hals, um zu sehen, was sich unten abspielte. Die zweite Halle war deutlich kleiner, als der riesige Saal davor und glich eher einem großen Verließ. Die Wände waren unverputzt und das Licht gedämpft. Ich konnte zuerst nichts erkennen, außer einem leeren Stuhl inmitten des Raums.
Mahr und der Erzbischof waren eingetreten. Ihre Konturen zeichneten sich gegen das Licht ab, das nun durch die offene Tür in das dunkle Zimmer strahlte.
»Scheinwerfer«, sagte Mahr.
Ich konnte hören, wie direkt unter mir in einer Ecke des Raumes jemand aufstand und einige Schritte ging. Dann gab es ein lautes Klicken und das grelle Licht eines Scheinwerfers explodierte im Raum.
Ich zuckte zusammen.
Mahr, der Erzbischof und der Soldat blieben hinter dem Schein werfer im Schatten. An der Wand inmitten des grellen Lichtkegels stand oder viel mehr hing eine Frau. Sie drehte vergeblich das Gesicht beiseite, doch die blendenden Lichtstrahlen ergossen sich über sie und zeichneten den Weg ihrer Wunden nach.
Sie trug eine breite Männerhose nach Soldatenart. Nur ihr Oberkörper war entblößt. Auf ihrer Haut begegneten sich Prellungen, Schmutz und Striemen. Auf ihrer Stirn klaffte eine große Platzwunde, die sich wie ein Urwaldfluss verästelte. Ihre Brüste waren klein, ihre Oberarme muskulös. Ihr Oberkörper war verunstaltet mit Messerschnitten. Auf ihren Bauch hatte jemand mit einem scharfen Gegenstand das Wort »SLUT« geritzt, während über ihrer Brust noch das leicht blutende »HARLOT« geschrieben stand und auf der Seite unter der Achsel befand sich ein pragmatisches »WHORE«. Das hier war Gender Studies 101. Ich wusste nicht, was bizarrer anmutete: die hysterische Amerikanisierung, oder die eindimensionale Männlichkeit, die dieses noch lebende Dokument signiert hatte.
»Das muss Sie doch sentimental machen, Exzellenz. Ist das nicht wie damals?«
»Wie damals?« Der Blick des Kirchenmanns schwankte irgendwo an der Grenze zwischen Ahnungslosigkeit und Entsetzen.
»Nun, die Inquisition. Die hätten auf unserer Seite eine Menge zu tun. Vielleicht noch nicht jetzt. Aber bald. Denn wir haben einen Weg gefunden, wie wir sie erkennen können. Jederzeit. Mitten auf der Straße. Ich rechne damit, dass sich bald viel mehr von diesen...« Er stutzte auf der Suche nach dem richtigen Wort. »...von diesen Tieren in unserer Gewalt befinden werden.«
Der Kleriker schwieg. Die Szenerie war unwirklich. Die Frau hustete trocken und hielt weiterhin ihre Augen geschlossen. Ihr Kopf hing zur Seite, möglichst abgewandt von dem aufdringlichen Lichtstrahl. Sie sah aus wie ein weiblicher Christus.
»Das ist ein sehr rares, exotisches Vögelchen, das wir uns hier geschnappt haben. Lassen Sie sich von den weiblichen Rundungen nicht täuschen. Talitha Kumi ist ein Biest, mit dem Sie nicht allein in einem Zimmer sein möchten. Innerster Kreis. Womöglich Paul Lichtmanns rechte Hand. Auf jeden Fall eine seiner Geheimwaffen. Er befreit sie alle aus ihren erbärmlichen Lebensumständen, und sie gehen für ihn bis an die Grenze des Denkbaren. Ich habe sie für eine halbe Stunde den Söldnern überlassen. Sie hat den Mund gehalten. Aber ich habe nichts anderes erwartet. Aber hält sie die nächste halbe Stunde aus? Und die danach?«
Inzwischen betrat ein Söldner den Raum und sagte leise etwas zu Mahr. Die beiden befanden sich direkt unter mir, nicht mehr als vier Meter tiefer. Ich konnte trotz des Flüsterns das Wort »Kameraausfall« hören.
»Wir sind hier etwas in Eile, darum verzeihen Sie, wenn ich mich Ihnen nicht mehr widmen kann als nötig«, erklärte Mahr dem Erzbischof, der ihn ausdruckslos ansah. »Wo sind wir stehengeblieben?«
»Haben Sie denn nicht irgendwelche Chemikalien oder Medikamente, die das ein wenig zivilisierter gestalten?« wandte der Erzbischof mit der gewohnt gedämpften Stimme ein und deutete etwas verlegen auf die halbnackte Frau.
»Glauben Sie mir, das ist bei
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