In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn
mittelalterlichen Flagellantismus, oder die Schriften von Elise Sutton. Mal den autobiographischen Roman Le lien von Vanessa Duriès, die mit 21 Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam. Oder den Klassiker Die Geschichte der O. von Pauline Réage. Innerhalb von Wochen verschlang ich jene Texte, die Alice Kerr-Sutherland zugeschrieben werden und das berüchtigte Essay »Violence In The Garden« von Polly Peachum. Verglichen mit den etwas trockenen Büchern in meiner Wohnung, war das eine sehr erfrischende Lektüre, die ich immer prickelnder fand.
Mein Herz lachte, als sie eines Tages auch einen Stapel Comics mitbrachte. Wir taten unsere Köpfe zusammen und lasen kichernd The Convent of Hell von Noe Barreiro und die wunderbaren und unübertrefflichen Leiden der jungen Janice von Erich von Gotha.
Etwas an ihr erinnerte mich an Manzio. Die beiden hätten ein gutes Ehepaar abgegeben, und das Vermischen ihrer Bibliotheken hätte die RAF wie ein protestantisches Kaffeekränzchen erscheinen lassen.
Auch Evelyn trat in mein Leben, mit der nicht abgesprochenen Aufgabe, mich auf Bücher und Gedanken jenseits des ausgetretenen Pfads aufmerksam zu machen. Sie tat es ohne eine Spur von Eitelkeit. Sie war nie überrascht, wenn ich über ein Buch sagte, ich würde es nicht kennen. Es kam nie ein hochnäsiges »Wie? Das kennst du nicht?«. Ich fand einen Weg hinter Evelyns raue Schale, vorbei an ihrem melancholischen Gemüt, und fand in ihr eine interessante Freundin. Eine etwas seltsame Freundin, aber das machte sie in meinem Fall perfekt.
Evelyn war das extravagante, auf den zweiten Blick schöne Mädchen, das optimal zu meiner nicht minder verschrobenen Persönlichkeit passte. Gemeinsam, als Paar, hätten wir vermutlich Hand in Hand den Sprung von der Brücke gewagt. So war es vielleicht besser, dass unser Umgang nur freundschaftlich war und wir weiteren Komplikationen aus dem Weg gingen. Ich fragte sie nie über ihr Privatleben aus oder ihre Vergangenheit. Sie mochte neben mir noch andere Männer haben, ich würde es nie erfahren. Außer noch jemand würde sie verhauen. Dann hätten sich seine und meine Straßen auf der blassen Leinwand ihres faszinierenden Hinterns gekreuzt. Auf diesem Podium gab es keine Lügen und vorgetäuschte Orgasmen.
Die magellanische Gier nach Pein und Erniedrigung war ihre große Reise über den Ozean der Selbstfindung, fort von den Gestaden des Kleinbürgertums. Einige hätten sie vermutlich als einen Schandfleck der Emanzipation, als eine Krebszelle des Feminismus eingestuft. Kleinbürger und Feministinnen hätten sie mit derselben Freude in einem Käfig durch die Stadt gezerrt, um sie anschließend zu verbrennen. Doch die meisten hätten sie wohl gerne in psychiatrischer Obhut gesehen. Ich sah sie hingegen mehr und mehr auf einem Sockel, in meinem Pantheon. Sie war mein Stargirl .
Ob Evelyn in Wirklichkeit tief im dunklen Verlies ihrer Psyche um Hilfe rief, konnte ich nicht sagen. Und es zu thematisieren schien die Gefahr zu bergen, den Zauber zu brechen. In dem jahrhundertealten Kampf der Frauen um Selbstbestimmung, war sie an der extremsten denkbaren Position angelangt. Sie war entweder hoffnungslos neurotisch oder die emanzipierteste Frau im Sonnensystem.
Ich mochte mir insgeheim diese Frage stellen: Machte ich irgendwelche »Dinge« noch schlimmer, in dem ich ihren Wünschen entsprach? Oder war es im Gegenteil eine therapeutische Wirkung, die von unseren Sitzungen ausging? Fühlte sie sich hinterher besser oder schlechter? Doch all diese Fragen schienen sich in Wirklichkeit um mein eigenes Seelenheil zu drehen, wenn sie auch so formuliert wären, als ginge es um Evelyn. Und so ersparte ich ihr das fürsorgliche — und in Wirklichkeit egoistische — Psychogelaber und vertraute ihr. Ließ sie das Maß definieren.
Ihre Experimentierfreude ging manchmal so weit, dass sie mich mitten am Tag anrief und mir vorschlug, es mal richtig puritanisch auszuprobieren. Sie kam eine halbe Stunde später vorbei, sagte kein Wort, zog ihren Rock hoch und ihren Slip bis zu den Knien herunter und beugte sich über die Rückenlehne eines Stuhls. Nachdem ihr Hintern versohlt war, wischte sie sich eine kleine Träne weg, zog das Höschen wieder hoch und verschwand wortlos.
Die Tränen, die manchmal kamen und gingen, waren echt und schienen ihr auch wichtig zu sein. Doch sie überstiegen mein Begriffsvermögen. Ich war nur die spankende Maschine, die Evelyn brauchte. Und ich fand das alles faszinierend. Die
Weitere Kostenlose Bücher