In den Spiegeln - Teil 3 - Aion
Lichtmann, der sich Adam Kadmon nennt. Ein Mensch, der kommt und geht. Ein und aus«, fuhr er fort. »Er verspottet die Regeln der Natur, bringt andere mit und weiht sie in sein sündiges Geheimnis ein.«
Es war beinahe amüsant zu hören, dass sich Michael mit den ›Regeln der Natur‹ auf das Jenseits und seine eigenwilligen Gesetze bezog. Im Diesseits hätten sich den rationalen Wissenschaftlern bei dieser Vorstellung die Haare zu Berge gestellt. Aber vermutlich stellten sich auch Michaels Haare zu Berge, wenn er dem agnostischen Treiben der modernen Menschen zusah.
»Doch dich will er bereits Augenblicke später in den Abgrund stürzen.«
»Ich glaube, er wollte mich nur einschüchtern«, erwiderte ich, ohne das, was ich sagte, selbst allzu ernsthaft zu glauben. »Er hat mich vor einem Leben als Krüppel gerettet.«
»In dem er dich ins Jenseits schickte?« lachte Michael auf. »Eine großartige Hilfe! Wäre er nicht zerfressen von der Finsternis, hätte er dir gezeigt, wie man Kraft aus seinem Glauben schöpft. Er hätte dir gezeigt, wie man mit der Behinderung lebt und trotzdem eins mit dem Ganzen wird.«
Der Erzengel stand auf und ging langsam die Treppe hinab, an mir vorbei. Er vollführte eine undeutliche Geste, die bewirkte, dass eine der Mauern sich in Nichts auflöste und den Blick auf die Stadt freigab.
»Komm her!« befahl er mir unumwunden.
Von Höhen und Abgründen langsam etwas irritiert, trat ich zaghaft neben ihn und beobachtete Thanatopolis. Der Turm der Seelen befand sich nun direkt vor uns, doch er war entfernt genug, um nur wenig der gesamten Sicht einzunehmen.
»Er ist jetzt irgendwo dort, und ich kann ihn nicht fassen«, sagte Michael leise. »Er verhöhnt mich.«
Langsam und nahezu unbeteiligt legte er seine Hand auf meine Schulter. Es war ein Griff, aus dem es kein Entkommen gab.
»Lichtmann hilft niemandem, ohne sich davon etwas zu versprechen. Weshalb half er also dir?«
»Ich glaube«, fing ich mit unsicherer Stimme an, »dass er dort im Krankenhaus unter Zeitdruck stand und fürchtete, mich nicht mehr befragen zu können. Also nahm er mich mit hierher. Doch dann floh er vor den Engeln und ließ mich im Stich, ohne etwas zu erfahren. Ich hatte mir den Tod anders vorgestellt.«
»Tod?« flüsterte Michael. »Tod ist nur der Strom, in dem die Seele ohne Geist driftet. Das da oben ist der Tod!« Er deutete auf die Spitze des Turms, an der das kumulierte Licht der hineinstürzenden Sternschnuppen hell wie eine kleine Sonne strahlte. »Du bist nicht tot. Du bist nun etwas anderes. Ein Untoter. Eine Abomination. Ich sollte dich an eine Kette legen und für alle Tage hier in irgendeinem Verließ aufbewahren. Gewiss sollte ich dich nicht zurück ins Diesseits lassen!« Er blickte mich an, mit seinen kalten blauen Augen, die deutlich dunkler waren als die blassen, beinahe farblosen Augen von Manakel. Seine Augenlider verengten sich. »Aber ich werfe kleine Fische zurück in den Teich.«
Er kehrte zurück zu seinem Thron und schien nachzudenken. Ich raffte meinen Mut zusammen.
»Wie kann ich die Wahrheit erfahren...?«
Er zog tadelnd eine Augenbraue hoch.
»Die Wahrheit? Was soll das denn sein?«
»Ich will verstehen, wer die Lux Aeterna ist und was das alles hier bedeutet.«
»Es sind Schurken, was gibt es da noch zu wissen?!«
»Ich habe zu viel erfahren, um jetzt noch ahnungslos zu sein. Ich kann nicht mit der halben Wahrheit leben. Im Diesseits verliere ich den Verstand.«
Erzengel Michael kam zurück zu mir und legte plötzlich mitfühlend seine Hand auf meine Wange.
»Ioannes Marcos«, sprach er mich auf Altgriechisch an. »Paul Lichtmann ist der wichtigste Vertreter Luzifers auf Erden. Er ist seine rechte Hand unter den Menschen. Sein oberster Agitator und sein emsigster Agent provocateur . Doch er ist der Feind aller Menschen. Es kommt einem Spott gleich, dass sie sich Lux Æeterna nennen, denn sie sollten lieber Umbra Æeterna heißen. Und du...« Er tätschelte mich. »Du fühlst dich von ihm angezogen, wie die Motte vom Licht.«
Er ließ von mir ab, als ekelte er sich wegen der intimen Berührung. Nachdem er wieder auf seinem Thron Platz genommen hatte, lehnte er sich zurück und wiegte den Kopf auf und ab.
»Ich weiß, dass du gerne schreibst. Wir können immer Leute gebrauchen, die über uns schreiben. In den Tagen der Finsternis nehmen wir jede PR, die wir im Diesseits kriegen können.«
»PR...?« sprach ich ihm leise nach.
»Es muss keine Lobhudelei sein.
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