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In den Spiegeln - Teil 3 - Aion

In den Spiegeln - Teil 3 - Aion

Titel: In den Spiegeln - Teil 3 - Aion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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offensichtlich viele beschäftigt.«
    Es war der ultimative Franz-Kafka-Trip. Niemand war darum verlegen, mir immer dieselbe Frage zu stellen, während niemand irgendeine Antwort von mir zur Kenntnis nahm.
    »Warum würden die Schatten einen ahnungslosen Tropf wie dich hierherschicken?«
    »Ich weiß nicht einmal, wer die Schatten sind«, wandte ich ein. »Paul Lichtmann sagte, sie entsprechen den Dämonen.«
    »Unglaublich«, flüsterte Manakel, der Engel. »Du bist noch unbedarfter als ich dachte. Ich muss dich zu Michael bringen.«
    »Michael?« fragte ich. » Den Michael?«
    Er antwortete nicht, sondern erstarrte, wie bereits zu Beginn unserer Unterredung. Der Monopteros hüllte sich in blaues Licht und als es erlosch, konnte ich sehen, dass wir uns an einem anderen Ort befanden. Die kleinen Säulentempel schienen das angelische Gegenstück zu den dämonischen Sacraportas zu sein. Sie dienten dem Transport.
    Der Thronsaal von Erzengel Michael war in dunklem, beinahe schwarzem Blau gehalten. Der Raum schien die Form eines Davidsterns zu haben, und in den sechs Spitzen des Sternes standen kleine Säulen mit Schalen, in denen seltsames, hellblaues Feuer flackerte. Es befanden sich auch andere Engel im Raum. Ich konnte sie kaum sehen, doch um so mehr spüren. Sie standen in den unzähligen Ecken und Nischen des Saals, schwiegen und umschlossen ihre Brustkörbe mit den Armen.
    Es bestand kein Zweifel, dass ich vor dem Boss stand. Michael trug eine Art Toga und saß nachdenklich auf einer voluminösen Sitzgelegenheit, die eindeutig ein Thron war. Sein glattes Gesicht war ebenso dürr und scharfgeschnitten, wie das seines Gefolgsmanns Manakel. Während ich zehn Schritt vor dem Thron stehenblieb, trat Manakel näher an Michael heran. Die beiden Engel starrten sich schweigend an — für eine Zeit, die ich im Diesseits sicherlich als zehn oder fünfzehn Atemzüge empfunden hätte. Erst dann fiel bei mir der Groschen, und ich begriff, dass sie eine Unterredung hielten, schweigend und auf eine Weise, die sich mir entzog.
    »Komm näher«, sagte anschließend Erzengel Michael, während sich Manakel entfernte. Ich ging bis zu der kleinen Treppe, die zum Thron hinaufführte. Michaels Stimme, obwohl ebenso kalt, mutete weniger monoton an, als die von Manakel. Es war etwas an ihm, dass man nur als theatralisch bezeichnen konnte.
    »Ein gläubiger Mensch würde auf die Knie fallen und mit gesenktem Kopf meinen Worten lauschen, um später heilige Bücher und Prophezeiungen zu verfassen«, sagte er, ohne einen Hauch von Vorwurf in seiner Stimme.
    »Möchtest du, dass ich auf die Knie falle?« antwortete ich vorsichtig.
    »Nein, das wäre Heuchelei. Denn du empfindest Furcht vor mir, doch keine ehrfürchtige Liebe«, gab er zurück. »So musst du stehen.«
    Michael musterte mich und lehnte sich bequem nach hinten.
    »Ich war oft in deiner Welt. Unzählige Male. Ich wuchs auf in Körpern junger Prinzen und hoffnungsvoller Krieger und tränkte auf unzähligen Schlachtfeldern den Boden mit Blut. Denkst du, es ist einem Engel angemessen, so etwas zu tun?«
    »Ich weiß nicht viel über Engel«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Doch es ist mir bekannt, dass viele sich in Schlachten auszeichneten.«
    »Menschen zeichnen sich in Schlachten aus«, erwiderte Michael. »Wir griffen nicht in menschliche Schlachten ein, weil Ruhm und Auszeichnungen auf uns warteten, sondern um das Gleichgewicht zu wahren. Wir nahmen teil, weil sich in die Reihen der Gegner Dämonen mischten. In Körpern von Menschen, die besessen waren. Wir konnten nicht tatenlos zusehen, während die Welt bedingungslos in die Hände der Schatten fiel.«
    Ich hatte mir einen Erzengel etwas weniger herrschend und verbissen vorgestellt. In diesem Augenblick fiel es mir schwer, mich auf die Tatsache zu besinnen, dass auch er nur ein Bild war, eine Projektion. Nicht so individuell, wie die Angorbestien, die mich jagten, sondern ein kollektives Bild. Vor mir saß die Summe der Ideen, die der Mensch gestern, heute und morgen mit dem Erzengel Michael verband. Das Martialische an ihm war das Resultat der alten Schlachtlieder, die sich auf siegreiche Kriege gegen babylonische und assyrische Armeen bezogen. Das Würdevolle entsprang der weitverbreiteten Vorstellung, er sei der König aller Engel. Erst später erfuhr ich, dass er in John Miltons Paradise Lost die Armeen der Engel in die Schlacht führte und Gottes Schwert niemand geringerem als Satan in die Seite rammte.
    »Paul

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