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In den Spiegeln - Teil 3 - Aion

In den Spiegeln - Teil 3 - Aion

Titel: In den Spiegeln - Teil 3 - Aion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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blauen Flecken und Prellungen in diesem tauben Körper kaum zum Gehirn durch.
    Als ich mich dabei ertappte, wie ich die flache Glasflasche gerade an meine Lippen setzte, hielt ich inne. Ich bin noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden in diesem Körper, und schon verpasse ich den Augenblick, an dem ich beschließe, mich zu besaufen. Es geschieht bereits unterschwellig und als lebenserhaltender Reflex. Ich schleuderte die Flasche von mir und sie zerbrach.
    »Das wirst du noch bereuen«, brummte ich. »Aber scheiß drauf.« Ich wollte die Situation anders anpacken. Es war Zeit, etwas voranzukommen. Es war Zeit, eine Rochade auf dem Spielbrett zu ziehen.
    Ich fand zuerst die Bahnhofsmission, wo ich genüsslich eine Kartoffelsuppe mit zwei Brotscheiben verschlang. Dort fragte ich nach gebrauchten Kleidern. Sie verwiesen mich an die Caritas und ich taumelte dorthin weiter.
    Meine Erklärungen, dass ich ein Mensch bin, der mit dem Alkohol Schluss gemacht hat und wieder in der sozialen Leiter aufsteigen möchte, verfehlten ihre Wirkung nicht. Einer der Sozialarbeiter kam sogar auf mich zu und meinte: »Dass Sie das schaffen, aus eigenen Stücken zu uns zu kommen, Herr Grünwald, hätte ich ehrlich gesagt nie gedacht.«
    Und so konnte ich eine lange, intensive Dusche genießen, versuchte dabei meinen kaputten Körper, dessen Anblick ich kaum ertrug, mit möglichst viel Seifenschaum zu bedecken und ließ das warme Wasser in mein Gesicht prasseln. Anschließend bekam ich einige alte Hosen und Hemden, die ich dann mit einer Spende von einigen Euro quittierte. Das machte aus dem Bettler keinen Prinzen. Noch immer war ich ein fertiger, krank wirkender Typ mit einer kaputten Leber. Doch die ständige Druckwelle von Gestank war verschwunden, und der Bart ein wenig gestutzt. Die langen, ergrauten Haare band ich mit einem Haargummi zusammen und sah plötzlich mehr wie ein gealterter Hippie aus als wie ein Landstreicher.
    Als ich die Sozialarbeiter verließ, dachte ich daran, dass ich als junger Jan-Marek Kámen stets die Tendenz hatte, zuerst das Schlechte an einem System zu sehen, während ich nun, als hilfsbedürftiger Obdachloser einen neuen Blick für das Gute gewann. Ich werde sicher nie darum verlegen sein, den Leuten meinen Pessimismus um die Ohren zu hauen, gewappnet mit drei oder vier Nietzsche-Zitaten, die mir Manzio auf den Weg gab. Doch in jenem Augenblick, in dem Sie ausgehungert auf eine Sitzbank sinken und jemand einen heißen Teller Suppe vor Sie stellt, in der Schnittlauch und Hühnchen unter großen Fettaugen schwimmen, hat das alles keine Bedeutung. Ich mochte von großen pompösen Augenblicken gebannt und belehrt worden sein, doch genießen durfte ich stets nur die kleinen Dinge im Leben. Die einfachen Momente, die keines Seminars und keiner Analyse bedürfen.
    Abends kehrte ich noch einmal zum Bahnhof zurück. Während ich hektisch meine Suppe auslöffelte, dachte ich plötzlich daran, dass der Mann, dem dieser Teller galt, der Mann, der den Willen hätte haben sollen, diese nach einfacher Seife duftende Kleidung abzuholen, bereits tot war. Ich war ein Trickbetrüger, der in seinen Körper geschlüpft war. Tränen traten in meine Augen, die ich mir nicht erklären konnte. Doch das Wichtigste können wir uns nie erklären. Unsere umfangreichen Theorien sind zumeist auf das gerichtet, was mit uns wenig zu tun hat, da wir so ungern ans Eingemachte gehen. Ich konnte einfach nicht begreifen, warum Klaus Grünwald nicht seine alten Knochen hierher bewegt hatte, um die Sozialarbeiter um Hilfe zu bitten. Weshalb er stattdessen ein Stück Kabel um ein Heizungsrohr wickelte und eine Schlinge daraus drehte, um seinen roten, faltigen Hals hineinzustecken.
    Nach dem Essen lehnte ich mich zurück und dachte nach. Draußen auf dem Bahnsteig eilten in grellem Rot gekleidete Sanitäter mit schweren Plastikkoffern vorbei in Richtung der großen, grünen Datev-Reklame. In der Bahnhofsmission saß noch eine Handvoll anderer Leute, meistens Kerle wie ich, einsam versunken über ihren Tellern, in einer seltsamen Mischung aus Phlegma und Scham. Zwei gutgelaunte Damen in weißen Schürzen wischten die zerkratzten, grauen Plastiktabletts mit einem feuchten Tuch ab. Ich begriff, dass meine Erfahrung, wie lehrreich sie auch sein mochte, nicht den Erfahrungen dieser Menschen glich. Für mich konnte eine Hühnersuppe mit einer harten Brotkante einer Epiphanie gleichkommen, für diese Menschen war es eine kurze Pause in einem alltäglichen

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