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In den Spiegeln - Teil 3 - Aion

In den Spiegeln - Teil 3 - Aion

Titel: In den Spiegeln - Teil 3 - Aion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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Überlebenskampf. Ich wusste, ich konnte nicht ihrem Pfad folgen, so wie ich mich in dem Krankenhaus nicht der Herausforderung der Behinderung gestellt habe, sondern lieber ins Jenseits floh. Es war keine Feigheit, es war Bestimmung.
    Ich bedauerte, keinen geheimnisvollen Schlüssel mehr zu haben. Wie gerne wäre ich nun zum Kölner Hauptbahnhof gefahren und hätte dort falsche Pässe, Geldbündel und in Büchern eingelegte Schusswaffen abgeholt. Ich wusste, sie waren da — doch diesmal nicht für mich. Mein Geld hätte für ein Zugticket nach Worms nicht mehr gereicht, und so taumelte ich in eine Telefonzelle, rief die Auskunft an und sprach nur wenige Minuten später mit Theophil Schorm, dem einzigen Theophil Schorm in ganz Worms und vermutlich in ganz Europa.
    »Können Sie mich abholen?« röchelte ich in die Sprechmuschel.
    »Wer sind Sie?« fragte er verblüfft.
    »Michael schickt mich«, erklärte ich und überlegte, ob das die Wahrheit war.
    Die Aussage verfehlte ihre Wirkung nicht. Es knisterte etwas dramatisch in der Leitung, dann meldete sich Schorms Stimme erneut.
    »Wo sind Sie?«

3.07 Theophil Schorm
     
    Einige Stunden später saß ich in seinem Auto und ratterte auf der A61 nach Worms.
    Sein Wagen war nicht nur alt, sondern auch noch klapprig. Ich fand, dies war ein Beispiel für Sparsamkeit an falscher Stelle und eine vollkommen überzogene Demonstration der angelischen Tugenden. Ich hatte nicht erwartet, dass ein Kerl, der für die Engel arbeitet, mich in einem Maserati abholt, doch ungeachtet allen Retro-Charmes, war ein Borgward Isabella, Baujahr 1961, ein recht starkes Stück. Die Kiste machte nach ihrem langen und vermutlich ereignislosen Leben gerade mal hundertfünfzehn Stundenkilometer.
    Schorm war beinahe siebzig und wirkte nicht wie ein Gelehrter, sondern wie ein Typ, der sein Leben lang in einer Fabrik gearbeitet hatte und nun endlich Zeit fand, sich dem wichtigsten Ding im Universum zu widmen: der Pflege von tropischen Zierfischen in einem Aquarium. Er trug ein gestreiftes Hemd mit einem dünnen ärmellosen Pullover mit V-Ausschnitt, und für einen Augenblick dachte ich, dass er sich beim selben Caritas-Schneider einkleiden ließ, wie ich.
    »Was ist Ihr Gebiet?« fragte ich ihn, während hinter uns erneut ein ungeduldiger BMW-Fahrer seine Scheinwerfer aufblendete.
    »Mein Gebiet?« fragte er verwundert und drehte stoisch an dem großen Lenkrad.
    »Ich dachte, Sie seien ein Wissenschaftler.«
    »Sie haben recht. Eigentlich bin ich Theologe. Aber unter den gegebenen Umständen ist das mehr eine Fassade. Ich arbeite seit vierzig Jahren für die Hierarchie.«
    »Die Hierarchie?« sprach ich ihm nach. »Sie meinen wie bei Dionysius Areopagita?«
    Er nickte und überholte mühsam den nächsten Lastwagen.
    »Waren sie jemals drüben?«
    »Nein«, rief er lachend aus. »Ich meine, natürlich schon, eine Million mal sicherlich, aber nicht so, wie Sie denken. Es wäre eine unvergleichliche Häresie. Umso erstaunlicher, dass Sie...«
    Er blickte mich kurz an, mit diesem freundlichen Gelehrtenlächeln, das verriet, dass er im Grunde keine Ahnung hatte, was ich in seinem Auto tat.
    »Ich bin da irgendwie zwischen die Parteien geraten«, erklärte ich, ohne selbst besonders gut zu wissen, was ich sagte. »Sie kennen das ja... Kerygma, Lux Aeterna, Oktagon Foundation.«
    Theophil Schorm nickte verständnisvoll.
    »Bevor ich mich versah, war ich mit einem gewissen Paul Lichtmann im Jenseits. Doch es stellte sich heraus, dass er nicht mein Freund war. Dann kam ich vor den Erzengel Michael, und der ließ mich wieder gehen.« Ich konnte nicht fassen, dass ich einen derartigen Unsinn redete und auch noch tief davon überzeugt war, dass es die Wahrheit war. »Er sagte, er werfe kleine Fische zurück in den Teich . Er verwies mich sogar an Sie und sprach von einer göttlichen Nahrung, die ich durch Sie bekäme.«
    Der Wagen machte einen Schlenker.
    »Sie meinen, Erzengel Michael will, dass ich Ihnen das Manna zur Verfügung stelle?«
    »Manna? Ich weiß nicht, ob er das meinte. Er sagte: Nach deiner Rückkehr wirst du Ambrosia speisen, und dann wirst du verstehen .«
    »Kein Zweifel!« rief Schorm aus. Die Brille auf seiner Nase zitterte. »Wer sind Sie nur? Die Ambrosia wurde seit Jahrzehnten nicht mehr verabreicht. Ich bin der letzter Wächter der göttlichen Nahrung.«
    »Manna ist doch das Zeug, das den Israeliten half, die Wüste zu überstehen.«
    »Ja, ja, das ist eine der vielen Darstellungen.

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