Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
Vom Netzwerk:
ihr seidenes Kleid. Sie wirkte wie ein Symbol von Anmut und Grazie und unschuldiger Schönheit; sie war ein fleischgewordenes Juwel. Sie winkte jemandem zu, dann verblaßte das Bild wieder. Claybourne stand eine Zeitlang wie erstarrt, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. Er spürte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, und er konnte nichts dagegen unternehmen. Verzweiflung machte sich in ihm breit, Haß auf Herbignac, Haß auf die Venus, Haß auf das, was Shereen dazu veranlaßt hatte, ihrer Familie und der Erde den Rücken zu kehren. Bei der Vorstellung, seiner Tochter könne eine ähnliche Behandlung widerfahren sein wie Enrico Silverstone, begann ein Vulkan aus Wut in ihm zu brodeln.
    Er kam wieder zu sich, als Marita Ribeau ihm den Kristall reichte. Sie sah ihn an, und der Ausdruck ihres Gesichts war ... sonderbar. Er vermochte ihn nicht zu deuten.
    »Das ist Shereen, meine Tochter«, sagte Clay rauh. Herbignac starrte ihn mit offenem Mund an. »Ich weiß nicht, unter welchem Namen sie sich bei Ihnen gemeldet hat. Aber ich will wissen, was Sie mit ihr gemacht haben!«
    Der Meßdiener trat an die Seite des Hyperprotektors und raunte ihm etwas zu. Herbignac nickte, und sein Mehrfachkinn wogte auf und nieder. »Es kann sein ... ich erinnere mich dunkel ...« Er justierte seinen Stimmverstärker neu; das Ergkorsett glitzerte auf, und er sagte fest: »Kommen Sie bitte mit.« Hinter ihm öffnete sich eine bis dahin verborgene Tür in der Wand, und das Ergfeld schob den Hyperprotektor hindurch. Clay, Marita, der Meßdiener und Tasche folgten ihm und gelangten in einen funktionell eingerichteten Raum mit diversen elektronischen Gerätschaften und einem Computerterminal. Tasche schwebte zur Seite und summte. Dies fiel in ihren Aufgabenbereich. Herbignac hatte Mühe, die Sensoren der Terminaltastatur richtig zu bedienen, und der Meßdiener in der gelbgrünen Robe eilte ihm hastig zu Hilfe.
    »Ich glaube, es hat eine junge Dame bei mir vorgesprochen, die der im Kristall zumindest sehr ähnlich war ...«, sagte das Oberhaupt der Energetensphäre langsam.
    »Ich habe sie gefunden«, ließ sich Tasche vernehmen. Es flackerte im Projektionsfeld über dem Terminal, und Clay blickte direkt in das Gesicht seiner Tochter.
    »Ich habe einen weiten Weg hinter mir«, sagte Shereen und verneigte sich demütig. »Eure Heiligkeit, ich bitte Sie, erhören Sie mich. Ich bin bereit, alle nur erdenklichen Beschwernisse auf mich zu nehmen, um den Weg der Läuterung zu beschreiten und Erleuchtung zu finden ...«
    »Es tut mir leid.« Das Bild wechselte. Im Projektionsfeld war nun das schwammige und aufgedunsene Gesicht Herbignacs zu erkennen. »Aber die Prüfungen haben ergeben, daß du noch nicht bereit bist. Die Bürde das Fleischlichen und des Schmutzes, die auf dir lastet, ist noch zu groß.« Er schenkte Shereen ein nachsichtiges Lächeln. »Aber wenn du dich bemühst, mein Kind, dann magst du jene Teilreinheit erlangen, die erforderlich ist, um Eingang zu finden in unsere Kirche und die Energetensphäre. Geh mein Kind, finde dich selbst. Nirwana mag ein Anfang sein ...«
    Das Bild verblaßte.
    Herbignac nickte eifrig. »Jaja, jetzt erinnere ich mich wieder. Ich wies sie ab, weil sie nicht die erforderliche Reinheit besaß, und ...«
    »Weil sie was? « platzte Clay heraus.
    »Kommen Sie«, sagte Marita Ribeau, umfaßte seinen Arm und zog ihn in Richtung Ausgang. Tasche summte.
    »Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte!« rief Herbignac ihnen nach.
    Als sie den Tempelbezirk verlassen hatten, stieß Clay hervor: »Haben Sie das gehört?« Marita blieb abrupt stehen und stemmte die Arme in die Hüften.
    »Sie ist abgewiesen worden, reicht Ihnen das nicht? Der Hyperprotektor legte ihr nahe, nach Nirwana zu gehen; das ist eine Lokation, die sich vorwiegend mit philosophischen Fragen beschäftigt.«
    Clay begriff erst jetzt. »Aber das bedeutet ...« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
    »Es bedeutet, daß sie lebt«, vervollständigte die Sphärenschwimmerin.
    Hinter ihnen schwebte Tasche. Und das Summen des schwarzen Koffers klang irgendwie sonderbar.

4. Kapitel
     
     
    Die Traumvisionen lösten sich selbst dann nicht auf, als Clay unter den Strahlenschauern der Radiationsdusche stand und die Reste der Müdigkeit abstreifte. Die winzigen Ergdüsen über ihm veranlaßten seine Abermilliarden Körperzellen zu einer allgemeinen Regeneration und zu einer Beschleunigung des metabolischen

Weitere Kostenlose Bücher