In den Städten, in den Tempeln
Mädchen saßen und auf Harfen spielten. Die Kirchgänger in den langen Sitzreihen sanken auf die Knie, neigten die Köpfe und sangen:
»Wir preisen dich, Selige Sphäre der ESPer-Energeten; wir preisen dich, Hyperprotektor der Siebenten Seligkeit und Schutzengel aller Geistwesen und Körperlichen. Wir rufen euch, ihr, die ihr alle Bürden abgestreift habt und über uns wacht. Wir rufen euch, denn heute ist der Tag, an dem ein weiterer von uns Reinheit erlangte und bereit ist, einzugehen in euer Reich.«
Aus einer Versenkung hinter dem Hauptaltar tauchte ein Mann auf. Er war in eine bodenlange Robe in der Farbe des Tempels gekleidet: Purpur. Clay schätzte, daß der Mann mindestens vierhundert Pfund wog. Er war unglaublich fett, und es grenzte an ein Wunder, daß er sich überhaupt auf den eigenen Beinen fortbewegen konnte.
»Wer ist das?« fragte er.
Akim Halberstadt starrte ihn an, und in seinem Auge funkelten Irrlichter. »Oh, du Unwürdiger, das ist Seine Heiligkeit, der Hyperprotektor Johannitus Edmond de Herbignac ...«
»Aaaahhhh!« seufzten die Gläubigen und küßten den mit Ferroplasma bedeckten Boden.
»Gepriesen seien die Geläuterten Seelen!« dröhnte die Stimme des Hyperprotektors durch den Saal. »Gelobt all jene, die wir auf den rechten Pfad führten und das erlangten, was wir alle erhoffen.«
»Gepriesen! Gepriesen und Gelobt!«
»Bestimmt trägt er einen Stimmverstärker bei sich«, knurrte Clay. Kühle umfaßte sein Herz, als er sich vorbeugte und nach Shereen Ausschau hielt. Einmal glaubte er, sie entdeckt zu haben, und er hielt unwillkürlich den Atem an. Doch das junge Mädchen war eine Venusierin mit blasser Haut, eine Meßdienerin, die zusammen mit anderen, ebenfalls nackten jungen Frauen durch die Reihen der Knienden schritt und ihnen Wein reichte.
Marita Ribeau neben ihm war ganz gespannte Aufmerksamkeit. Das verwunderte ihn. Schließlich war sie in dieser Welt aufgewachsen, und als Sphärenschwimmerin, die freien Zugang zu allen Lokationen der Kulturinseln hatte, mußte sie sicher auch schon Seelenstraße besucht haben. Doch als er sie verstohlen musterte, gewann er den Eindruck, als warte sie auf etwas.
Funken stoben durch die Halle, und die Gläubigen erhoben sich wieder und blickten demütig empor.
»Sie sind nun bei uns, all die Geistwesen und Körperlosen. Sie sind unserem Ruf gefolgt, um jenen zu begrüßen und herzlich zu empfangen, der heute eingeht in ihre Reihen, in die Sphäre der Freude und des paradiesischen Wohlbehagens.«
Holografieprojektoren strahlten Bilder in den Saal: Die Gesichter von Männern und Frauen jeden Alters lächelten weise und verklärt. Duftnebel senkten sich aus Deckendüsen herab; Suggestivmosaike schwebten durch die Halle und wichen dabei den schillernden Ergblasen der Choristen flink und geschickt aus. Die Engel auf der Wolke sangen weiter, mal leiser, mal lauter.
»Und nun«, dröhnte die Stimme Herbignacs, nachdem er eine ganze Reihe von Beschwörungen und Lobpreisungen und Verdammungen der Fleischlichkeit in den Saal hinausgeschrien hatte, »und nun bringt den Geläuterten zu mir, auf daß er meinen Segen empfange.«
Es folgte abrupte Stille. Clay atmete schwer, und wie alle anderen wandte er den Blick zum Tempelportal. Dreizehn stämmige Golems trugen eine kostbare Bahre durch den Mittelgang auf den Altar zu. Sie bestand offenbar aus purem Gold und war verziert mit Rubinen und Saphiren, mit Smaragden und Amethysten. Kopf und Fuß der Bahre waren mit jadenen Bildnissen des Hyperprotektors geschmückt. Und auf ihr ruhte der nackte Leib eines schmächtigen Mannes. Das Gesicht des Geläuterten war hinter einer großen, fratzenhaften Maske verborgen.
Als die Golems den Altar erreicht hatten und die Bahre hinabließen, stimmten die himmlischen Chöre auf der Wolke einen Jubelgesang an, und rund eine halbe Minute lang herrschte ohrenbetäubender Lärm. Die Gläubigen sprangen auf und tanzten in wilder Ekstase umher, und Clay überraschte sich dabei, daß er selbst mit den Füßen wippte.
»Sehen Sie!« Marita schenkte ihm ein strahlendes Lächeln; in ihren nußbraunen Augen funkelte Spott. »Ich wußte doch, daß ein wenig Läuterung Ihrer Seele durchaus guttut.«
Clay preßte die Lippen aufeinander und gab keine Antwort. Neben ihm sprang Akim Halberstadt auf der Sitzfläche seines Stuhls umher und gab schrille Laute von sich.
Verrückt, dachte Clay. Sie sind alle verrückt. Ohne Ausnahme. Ich bin der einzig Normale hier ...
Schließlich
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