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In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
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auch nur ein Haar gekrümmt haben, dann ...«
    »Beruhigen Sie sich«, unterbrach ihn Marita Ribeau frostig. »Sie kennen doch die Auflage von Föderatus. Machen Sie sich nicht zum Narren.«
    Clay keuchte. Vor seinen geistigen Augen sah er eine Shereen, die auf einer goldenen Bahre lag und sich nicht rührte. Enrico Silverstone war tot. Und Shereen?
    Und während Clay um seine Fassung rang und versuchte, den tastenden Attacken des Ferroplasmas zu entkommen, ließ sich Marita Ribeau in einen Sessel der Ruhebucht sinken und erläuterte dem Oberhaupt der Energetensphäre Clays Stellung und sein Anliegen. Herbignac hörte aufmerksam zu; die wäßrigblauen Augen waren fast zwischen den Fettwülsten seines Gesichts verborgen, und sein Atem ging schwer und rasselnd. Der Meßdiener schob einen Kelch mit Wein durch eine Strukturlücke des Ergkorsetts, und Herbignac nahm einen tiefen Schluck.
    »Ich habe niemanden umgebracht«, brummte der Hyperprotektor und benutzte nun wieder seinen Stimmverstärker. Der Meßdiener zog sich zurück und bezog vor den kostbaren Wandteppichen der Ruhebucht Aufstellung. In einer nahen Bademulde gurgelte grünes und mit Mineralien und Duftsalzen angereichertes Wasser. Die Kammer strahlte Ruhe und Besinnung aus, aber Clay hatte dennoch große Mühe, sich zu beherrschen. Und das Ferroplasma reagierte darauf. Die graue Substanz kräuselte sich, bildete Auswüchse und Ausläufer und tastete immer wieder nach seinen Beinen. In Clays Gesicht bildeten sich erneut erste rote Pocken. »Das würde ich niemals wagen. Ich achte das Leben, denn Leben ist heilig. Ich habe in meiner Eigenschaft als Hyperprotektor nur dazu beigetragen, daß der Geist eines Geläuterten von seiner mit Schmutz beladenen körperlichen Hülle getrennt wurde und die Möglichkeit erhielt, sich zu den anderen Energeten zu gesellen. Glauben Sie mir, Comptroller: Der Geläuterte existiert nun als Geistwesen weiter, und in dieser Existenz erlebt er eine Freude, die alle leiblichen Genüsse weit übersteigt. Wissen Sie«, – Herbignac schwebte nun wieder näher heran –, »unsere Kirche verehrt keinen Gott an sich. Gott ist überall und nicht definierbar. Aber es war uns gegeben zu entdecken, wie der Mensch, seine Seele, höchste Erfüllung finden kann. Ich darf mich durchaus rühmen, daß ein Großteil des Verdienstes daran mir zukommt, und ...«
    »Das interessiert mich nicht!« brüllte Clay. Er stand kurz vor der Explosion. »Sie haben Enrico Silverstone auf dem Gewissen. Und meine Tochter ...«
    »Silverstone? Enrico Silverstone?« Herbignac kicherte. »Oh, da müssen Sie einem bedauerlichen Irrtum unterliegen. Der weltliche Name des Geläuterten lautete keineswegs Silverstone, sondern vielmehr Joshuah Nimmerin, nicht wahr?«
    Der Meßdiener nickte nachdrücklich und maß Clay mit einem skeptischen und eindeutigen Blick.
    »Ich habe keineswegs den Verstand verloren.« Clay schluckte und fügte fast flüsternd hinzu: »Im Gegensatz zu einigen anderen hier. Das ist hier doch ein einziges Irrenhaus! Hören Sie, ich will wissen, was Sie mit meiner Tochter angestellt haben, und zwar sofort. Sonst sehe ich mich gezwungen ...«
    »Ja?« fragte Marita Ribeau gedehnt. In ihrer Miene stand Abscheu und Ekel geschrieben, und Clay war nicht ganz sicher, ob dies ihm oder dem Hyperprotektor galt.
    »Wie war noch Ihr Name?« fragte Herbignac.
    »Dalmistro. Und meine Tochter heißt Shereen Dalmistro. Sie kam vor rund vier Wochen auf der Venus an. Und wahrscheinlich wurde sie von einem Ihrer ... Jünger von der Erde entführt.«
    Herbignac schüttelte den Kopf und genoß seinen Wein. »Nein, diesen Namen habe ich nie gehört. Ich kenne Ihre Tochter nicht. Und wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mich nun gern in die Meditation zurückziehen. Sie ist erforderlich, um den Geist von allem Überflüssigen reinzuwaschen, und als Hyperprotektor der Siebenten Seligkeit ...«
    Clay griff in seine Jackentasche und holte einen Kristallkubus hervor. Mit betont langsamen Bewegungen setzte er ihn auf den Boden und berührte eine ganz bestimmte Facette. Im Innern des Kristalls leuchtete ein Bild auf: ein junges Mädchen, rund zwanzig Jahre alt; tiefschwarzes, lockiges Haar, eine zarte, fast fragile Statur; flache Brüste, ein ovales Gesicht, in dem zwei große, grüne Augen glänzten. Für ein paar Sekunden erstarb jedes Geräusch in der Ruhebucht. Alle starrten auf das Abbild Shereens. Sie strich sich die Haare aus der Stirn, und eine leichte Brise erfaßte

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