Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
Vom Netzwerk:
Anliegen.
    »Ja«, sagte Lidia VanDerholt, »jetzt erinnere ich mich wieder. Du hast mir die Sache ja schon geschildert.« Sie streckte ihm einen fleischigen Arm entgegen, und Clay knickte ruckartig in der Hüfte ein, um die ihm dargebotene Hand zu küssen. Irgendwo hinter ihm ertönte ein leises ›Plop!‹ , und das fleischige Gesicht der Strukturanalytikerin vor ihm zerplatzte. Wie in Zeitlupe rutschte der fette Leib von der erhöhten Bank und glitt haltlos zu Boden. Marita Ribeau starrte entsetzt in das zerfetzte und blutüberströmte Gesicht der Toten.
    Irgendwo ertönte der entsetzte Schrei einer Frau: »Sie hat eine Waffe! «
     
    In Clay erwachten die Reflexe, die sich in den langen Jahren in der Tiefstadt Metrocagos aufgebaut hatten. Ohne diese instinktiven Reaktionen wäre er längst in irgendeiner dunklen Gasse ums Leben gekommen ...
    Er wirbelte um die eigene Achse und setzte zu einem langen Satz quer durch die dahinwehenden Dampfschwaden an. Und vergaß dabei die Einschränkungen, die ihm die enge Em-Robe auferlegte. Clay stolperte und fiel der Länge nach zu Boden. Ein zweites, kratzendes Geräusch ertönte, und irgendwo hinter ihm surrte ein Querschläger davon. Ein schmerzerfüllter Schrei schloß sich an.
    Clay zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß beide Schüsse ihm gegolten hatten. Er zerrte mit aller Kraft am Saum der Robe und rollte sich dabei zur Seite. Frauenstimmen schrien durcheinander, Männer wimmerten und suchten nach Schutz. Der Saum gab nach und platzte. Clay sprang auf die Beine und hetzte durch die Nebelschwaden davon. Das Holz der Treppe tauchte vor ihm auf, und er hastete mit langen Schritten die Stufen empor. Unter ihm rief jemand:
    »Clay! Ist Ihnen etwas passiert, Clay?«
    Er wunderte sich nur eine Sekunde lang darüber, daß Marita Ribeau ihn mit der Kurzform seines Vornamens ansprach.
    »Hol dich der Teufel«, knurrte er und riß die Tür auf, die nach draußen führte, mitten in den Irrgarten von MammaGrande hinein. Die Stufen der Treppe knarrten hinter ihm, und diese Geräusche waren Hinweis genug, daß ihm der Unbekannte Attentäter auf den Fersen war. Eine Gesellschaft ohne Gewalt und Aggression – und doch war dies schon der zweite Mordanschlag innerhalb kurzer Zeit, dem er sich ausgesetzt sah.
    Er rannte durch die sich dahinwindende Gasse, sauste eine Rutschröhre hinab, hangelte sich dann an einer wie provisorisch wirkenden Leiter aus ineinander verflochtenen Seidenfäden in die Höhe und suchte verzweifelt nach etwas, das sich als Waffe verwenden ließ.
    »Seht euch den an!« rief eine Mamma. »Ein Em mit zerrissener Robe. Ist er gar auf der Flucht?«
    Zwei Frauen stellten sich ihm mit ausgebreiteten Schwingen in den Weg. Ein Hieb nach rechts, einer nach links, und Clay hechtete durch die so entstandene Lücke. Die Schritte des Attentäters folgten ihm noch immer, ein dumpfes Echo seiner Füße, ein Schatten, ausgestattet mit einer Projektilschleuder. Verblüffte Rufe erklangen, als er an anderen Frauen vorbeistürmte, sich dann in einen weiteren Röhrengang hineinwarf und durch einen gewölbten und verwinkelten Korridor hastete, der an einer Reihe von Teichen entlangführte, in dem – mehrere Dutzend Meter frei über dem Boden schwebend – Mammas vergnügt umherplanschten.
    Was hatte die Frau im Dampfbad gerufen?
    Sie hat eine Waffe!
    Sie. Also eine Frau.
    Wie bei der Auseinandersetzung mit Dreistern fehlte ihm auch jetzt wieder die Unterstützung von Tasche. Ein Zufall? Clay eilte weiter und ließ eine Zone des Aufruhrs hinter sich. Irgend etwas, daß sich als Waffe verwenden ließ. Verdammt! Es mußte sich doch etwas auftreiben lassen ...
    Eine dunkle Nische in einer grellbemalten Wand. Clay blieb stehen und sprang zum herabhängenden Ast eines Mammutbaums empor. Das Holz knirschte unter seinem Gewicht und gab schließlich nach. Clay fiel zurück auf den Boden des Korridors, umfaßte den Zweig mit beiden Händen und schlug ihn heftig aufs Knie. Der Ast brach in der Mitte entzwei, und Clay wog einen Augenblick lang das längere und schwerere Stück in der Hand. Es mußte genügen. Er drehte sich um, kroch in die Nische hinein und schnappte nach Luft. Er versuchte, so flach und gleichmäßig wie möglich zu atmen, und lauschte gleichzeitig den näher kommenden Schritten, die nun erheblich langsamer wurden. Schließlich verklangen die Geräusche ganz.
    Der Rücken einer Frau schob sich in sein Gesichtsfeld. Ein Gewand, das aus Hunderten einzelner Stoffetzen

Weitere Kostenlose Bücher