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In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
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bis zu den Füßen reichte und nur kleine, tänzelnde Schritte zuließ. Über seinen Lenden war der Stoff dieser Robe transparent, und ein Dutzend leuchtendrote Pfeile deuteten auf das hin, was ihn als Mann auswies und nun offen zu erkennen war. Clay hob den Kopf, bemerkte Maritas Blick und legte beide Hände über den durchsichtigen Bereich. Seine Lippen bebten.
    »Ja«, Marita nickte, »ja, ich glaube, das reicht aus. En Vogue hat mal wieder beste Arbeit geleistet; was meinen Sie, Clay?«
    Und sie lächelte.
    »Sie verdammte ...!«
    Sie zuckte die Achseln und wandte sich zum Gehen. »Ich kann leider nichts daran ändern«, sagte sie, und ihr Gewand enthüllte ihre Kehrseite. Auch dort zeigten sich schillernde Darstellungen. »Um Nirwana zu erreichen, müssen wir MammaGrande durchqueren. Und dort kleidet man sich auf diese Weise.« Sie blieb an der Tür stehen und schenkte ihm einen durchdringenden Blick. »Ich muß Sie übrigens warnen, Comptroller. MammaGrande ist von allen anderen Lokationen separiert; in dieser Kulturinsel pflegt man ein ausgesprochenes Matriarchat. Männer gelten dort nicht sonderlich viel. Wenn Sie dort Ihrer primitiven Aggression freie Bahn lassen, werden Sie sofort ausgewiesen, und dann gibt es keine Möglichkeit für uns, Nirwana zu erreichen. Denken Sie daran.« Sie öffnete die Tür. Clay folgte ihr mit kleinen, tänzelnden Schritten. »Ihr ... Koffer muß übrigens hierbleiben. Und noch eins: Eins der schwersten Vergehen, das sich ein Mann in MammaGrande leisten kann, besteht darin, eine Unaufgeforderte Erektion zu offenbaren. Stellen Sie Ihre Manneskraft bitte nur dann zur Schau, wenn eine Mamma Sie ... nun, berührt.«
    »Ich bringe Sie um!« versprach Clay mit heiserer Stimme. »Ich ersticke Ihren verdammten Zynismus!«
    »Oh«, machte Marita Ribeau und trat auf den Korridor hinaus. »Ich glaube, das würde dem Ferroplasma gar nicht gefallen ...«
     
    Die Lokation MammaGrande glich einem unüberschaubaren Labyrinth aus ineinander verschachtelten Bauwerken, Pflanzenstauden, Schwebenden Teichen, Marmortoren, riesenhaften, dreidimensionalen Bildnissen – die, wie Marita Ribeau Clay erklärte, von Künstlern der Kulturinsel Raja-Yoga geformt worden waren – und Mammutbäumen mit ausladenden Kronen. Stege und Wendelgänge stellten die Verbindungswege dar; schwankende Brücken, die von Minigravitatoren stabilisiert wurden, dennoch aber einen so unsicheren Eindruck machten, daß Clay unwillkürlich zögerte, sie zu betreten. Schon nach einigen Dutzend Metern hatte er völlig die Orientierung verloren, und mit Schrecken dachte er daran, was mit ihm geschehen würde, wenn er Marita Ribeau in diesem architektonischen Chaos verlor. Die einzelnen Gebäude waren rund, quadratisch, vieleckig oder besaßen andere Formen; entscheidend bei der jeweiligen Konstruktion war offenbar einzig und allein die Phantasie des jeweiligen Bewohners. Kolonnaden zogen sich an den Hausfronten entlang, wiesen plötzliche Verwinkelungen auf und führten schließlich an den Punkt zurück, an dem sie begonnen hatten. Mit sicherem Gespür fand die Sphärenschwimmerin immer wieder die richtige Abzweigung. Es ging über Rutschen in die Tiefe, dann steile verschlungene Treppen empor; manchmal verfinsterte sich das Licht des strahlend hellen Kunsthimmels, wenn sie durch die gewundenen Tunnel dieses Irrgartens wanderten. Hier und dort leuchteten Laternen an den Gebäudefronten, woanders hingegen pulsierte der grelle Schein von Holografien, die den Bewohner der entsprechenden Unterkunft priesen und dessen Vorzüge lobten. Musik ertönte aus verschiedenen Schenken. Frauen schrien mit heiseren Stimmen, wenn eine Mamma sich von einem Säulengang herabstürzte und ihren rasenden Fall kurz über dem Boden mit breiten Schwingen auffing. Die meisten Frauen, denen Marita Ribeau und Clay begegneten, waren eine Symbiose mit speziell für sie gezüchteten Hybriden von Allnatur eingegangen. Es handelte sich um Miniaturgolems, die wie eine zweite Haut auf ihrem Rücken wuchsen und größtenteils aus zwei großen, ledernen Schwingen bestanden, deren Kontrolle dem Nervensystem des Wirtskörpers oblag. Clay zweifelte daran, daß die Muskelkraft dieser Schwingen ausreichte, um einen Menschen fliegen zu lassen. Wahrscheinlich trugen die Frauen kleine Gravitatoren bei sich, mit deren Hilfe sie ihr Gewicht reduzierten, so daß der von den Schwingen hervorgerufene Auftrieb genügte, um sie durch die Luft zu tragen. Männer, die ebenso gekleidet

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