In den Städten, in den Tempeln
verdrängen.
»Ich konnte nicht ahnen, daß in MammaGrande ein Attentäter auf Sie wartete«, fuhr Marita fort. Sie kehrte nicht an seine Seite zurück, und ihre Stimme klang so, als spräche sie mit sich selbst. Clay lauschte.
»Wenn ich auch nur den leisesten Verdacht gehabt hätte ... ein Golem und ein Realsimulacrum, das wie ich aussah ... offenbar ist Ihr unbekannter Gegenspieler bestens unterrichtet.« Sie zögerte. »Dalmistro, ich muß Ihnen etwas sagen ...«
Sie wartete, aber er konnte nicht antworten. »MammaGrande ist keineswegs typisch für die Venus. Es handelt sich dabei auch nicht um eine Lokation, sondern vielmehr ein Studienobjekt der Soziopsychologen Nirwanas. Die Männer und Frauen von MammaGrande sind allesamt Freiwillige Helfer aus anderen Lokationen, die sich bereit erklärt haben, eine Zeitlang unter den gesellschaftlich-sozialen Bedingungen zu leben, die Sie selbst erlebt haben. Die Soziopsychologen analysieren die gegenseitigen Wechselbeziehungen, die sich aus einer solchen Lebensweise ergeben. Sie wissen doch, Comptroller: Das Sein bestimmt das Bewußtsein, und ein ganz bestimmtes kulturelles Umfeld wirkt sich früher oder später auf die Menschen aus, auch wenn die gesellschaftlichen Bedingungen wie im Falle MammaGrandes künstlich sind. Die Sopsys haben bereits wertvolle Aufschlüsse aus diesem Experiment gewonnen.«
Sie sprach nun so leise, daß Clay Mühe hatte, sie zu verstehen.
»Es ... es war gar nicht nötig, daß ich Sie nach MammaGrande brachte. Wir hätten Nirwana auch auf einem anderen Weg erreichen können ...«
Diesmal war die Wut in Clay rein emotionales Magma, das nach einem Ventil suchte. Das Summen in seiner Nähe verwandelte sich in ein schrilles Klirren. Marita Ribeau sprang auf und nahm an den Geräten, die er von seiner Position aus nicht sehen konnte, einige Justierungen vor. Clays Zorn verebbte und machte stoischem Gleichmut Platz.
»Es ... es tut mir leid, Comptroller.« Marita Ribeau rang offenbar um ihre Fassung. »Ich habe gesehen, wie eine Frau starb, wie sie auf brutale und heimtückische Weise ermordet wurde. Ich mußte erleben, wie Sie von einem Golem und dann von einem Realsimulacrum bedroht wurden. Das ist ... nun wir kennen hier so gut wie keine Gewalt. Sie haben bisher noch nicht allzu viel von der Venus und unserer Lebensart kennengelernt, und vielleicht ist das auch meine Schuld. Ja, Comptroller, ich wollte Sie demütigen. Ich wollte Ihrem verdammten chauvinistischen Hochmut einen Schlag versetzen. Ich wollte, daß Sie am eigenen Leib spüren, wie es den Frauen auf der Erde ergeht. Ist der Unterschied sonderlich groß? Nein, ich glaube nicht. Es mag einige Differenzen im äußeren Erscheinungsbild geben, aber im Kern der Sache handelt es sich bei Ihrer Kultur um ein großes PappaGrande. Das sollte Ihnen endlich klarwerden.«
Du verdammte Hure! dachte Clay.
»Dalmistro, es deutet alles darauf hin, daß Ihre Tochter die Erde freiwillig verließ.«
»N-nein«, brachte Clay krächzend hervor.
Zwei rasche Schritte, dann war Marita Ribeau an seiner Seite. Ihre Brüste ragten unter den Fetzen ihres Gewandes hervor, als sie sich über das Ergpolster beugte. Sie nickte. »Ja. Die Starre läßt jetzt langsam nach. Sie sind bald wieder auf dem Damm, Comptroller.« Sie lächelte. Und diesmal war es ein herzliches Lächeln, voller Freude.
Sie drehte sich um und nahm eine unruhige Wanderung durch die Ruhekammer auf. Irgendwo in der Nähe summte Tasche.
»Doch«, antwortete sie auf seinen Widerspruch. »Die Aufzeichnung, die wir bei Herbignac sahen ... hatten Sie etwa den Eindruck, sie stünde unter Zwang?« Marita schüttelte den Kopf, und ihr silberfarbener Haarhelm knisterte leise. »Nein, Dalmistro. Shereen verließ ihre Familie freiwillig; ich möchte sogar von einer Flucht sprechen. Sie wollten sie mit einem Superschwanz verheiraten, nicht wahr?« Sie gewann nun zusehendst ihre alte Sicherheit zurück, und trotz des Sedativs rührte sich erneut das Feuer in Clay.
Sie blieb stehen und sah ihn an. »Stellen Sie sich vor, Sie müßten in MammaGrande leben, auf Dauer, für immer. Stellen Sie sich vor, Sie würden aus irgendwelchen Gründen gezwungen, in die Em-Gemeinde einer Stammutter eingehen, ein Name unter vielen anderen zu sein und ansonsten keine Bedeutung zu haben, außer der vielleicht, Nachwuchs zu zeugen. Wie würden Sie darauf reagieren, Comptroller? Entspricht das vielleicht Ihrer Vorstellung von einem glücklichen, ausgefüllten Leben?«
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