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In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
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fleischige Säulen.
    Er hob die Projektilschleuder. Marita Ribeau sah ihn noch immer an. Eine Sekunde nur – und doch kam sie einem unauslotbar tiefen Ozean gleich, einem Meer ohne Anfang und Ende, einem grenzenlosen Kosmos, dessen Atome und Moleküle beziehungslos waren und ohne Ordnung dahinwirbelten. Ein blasses Schimmern umgab den Fokus des Blitzwerfers. Unmittelbar dahinter lauerte der Tod.
    Der Auslöser glich einem Berg, den es langsam abzutragen galt. Clay drückte mit aller Kraft zu. Die Waffe erzitterte in seiner Hand, als die Preßluft-Druckkammer das Geschoß hervorstieß.
    Der Kopf Marita Ribeaus zerplatzte; darunter kamen Schaltelemente, Mikroprozessoren, Memorialelemente und andere elektronische Bausteine zum Vorschein. Der Blitzwerfer entfiel einer kraftlos gewordenen Hand – ganz langsam, getragen von der Gischt des Meeres dieser einer Sekunde. Ein dumpfer, hallender Laut, als die Waffe zu Boden fiel. Ein Realsimulacrum. Ein hochentwickelter Roboter ohne Simuliertes Ich – nur ein Werkzeug, ebenso wie der Golem.
    Doch das Ferroplasma machte keinen Unterschied zwischen der Ermordung eines Menschen oder der Verschrottung einer Maschine. Die geopsychische Präsenz registrierte nur die Absicht, die emotionalen Begleitumstände, nicht aber das Geschehen selbst.
    Das Meer der einen Sekunde verdunstete. Zusammenhänge stellten sich wieder her. Und die Zeit floß an der imaginären Klippe vorbei und rann dann so ruhig und gleichmäßig dahin wie zuvor. Ihre Wellen trugen Clay davon. Seine Brust hob und senkte sich in einem raschen Rhythmus, und als er den Kopf hob, starrte er in die von Abscheu und Ekel erfüllten Mienen einiger Mammas. Bewegung kam in ihre Reihen; eine andere Frau bahnte sich einen Weg durch den dichten Kordon, der den Comptroller umgab.
    »Clay? Gott, Clay ...«
    Marita Ribeau sank neben ihm auf die Knie und betastete seine Wangen. Er wollte ihre Hände beiseite stoßen, aber er hatte nicht die Kraft dazu. Dicke, eitrige Geschwüre wuchsen an seinem Hals, aus seinen Beinen war jedes Gefühl verschwunden. »Das konnte ich nicht ahnen, Clay; wenn ich das gewußt hätte ...« Sie sprang ruckartig auf und rief: »Einen Arzt! Wir brauchen einen Arzt!«
    Clay schloß die Augen und gab sich ganz der Dunkelheit hin, die seine Gedanken umhüllte.

5. Kapitel
     
     
    Als Clay wieder zu sich kam, lag er auf den Ergpolstern der Ruheliege in seiner Schlafkammer. Er starrte an die Decke mit den Besinnungsmosaiken. Sein Leib fühlte sich schlaff, kraftlos und taub an.
    »Er hat es überstanden«, sagte eine dunkle Stimme in seiner Nähe. »Es war nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussah. Aber wenn so etwas noch einmal geschieht ...«
    »Ich weiß.« Das war Marita Ribeau. Sofort spürte Clay, wie kalter Zorn in ihm aufstieg. Irgendwo ertönte ein leises Summen.
    »Oh, er kommt wieder zu sich.«
    »Ich gehe jetzt. Wenn Sie mich noch einmal brauchen sollten, dann wissen Sie ja, wo Sie mich erreichen können.«
    »Ja.«
    Eine Tür, die sich öffnete und wieder schloß. Leise Schritte, zögernd fast. Ein Gesicht beugte sich über ihn. Die Sphärenschwimmerin präsentierte sich ihm noch immer in der Aufmachung, in der sie ihn nach MammaGrande geführt hatte. »Comptroller?« Sie lächelte, aber diesmal war es kein Spott, keine Verachtung, die in dem feuchten Funkeln ihrer Augen zum Ausdruck kam. Clay interpretierte es als Sorge, als einen Anflug von Verlegenheit. »Sie können mich verstehen, nicht wahr?«
    Er wollte darauf antworten, aber seine Stimmbänder gehorchten ihm nicht. Es fiel ihm sogar schwer, ein Nicken anzudeuten. Marita Ribeau legte ihm kurz die Hand auf die Brust. Clay haßte diese Berührung.
    »Keine Sorge, Sie haben es überstanden. Der Arzt meinte schon, daß die Nachwirkungen der Stasis noch ein wenig anhalten könnten. Machen Sie sich keine Sorgen, Dalmistro.« Sie nannte ihn nun wieder bei seinem Nachnamen. »Sie haben keine organischen Schäden davongetragen; in gewisser Weise reagierte das Ferroplasma noch recht gutmütig.«
    Die Hitze in ihm nahm zu, und das Summen wurde lauter und intensiver.
    »Sie dürfen sich nicht aufregen«, sagte Marita Ribeau besorgt. Sie verschwand aus seinem Gesichtsfeld, und Clay konzentrierte sich auf die Besinnungsmosaike an der Decke. Irgend etwas zischte, und mit einem Sedativ sickerte Ruhe durch seine Adern. Er atmete langsam und gleichmäßig und versuchte, den Haß auf die Sphärenschwimmerin zumindest zeitweise zu

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