In der Brandung
gewohnt, Geschenke zu bekommen, so dass er zuerst nicht recht wusste, wie er reagieren sollte. Er musste sich sogar zwingen zu lächeln und danke zu sagen. Dann nahm er die CD und betrachtete das Cover. Genau in diesem Moment kam die Kellnerin. Emma bestellte einen leichten Spritz mit Aperol. Roberto nahm dasselbe.
»Ich wohne in der Via Panisperna … Ach, entschuldige, das habe ich dir schon gesagt. Kennst du dich aus in der Gegend?«
»Ja, ich wohne hier.«
»Wie meinst du das?«
»Ich wohne in der Via del Boschetto.«
»Hier um die Ecke?«
»Ja.«
»Nein, so etwas … Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«
»Als du mir sagtest, dass du hier wohnst, war ich derartig überrascht, dass ich nicht gleich reagiert habe.«
»So ein Zufall. Dann sind wir bestimmt schon x-mal aneinander vorbeigelaufen.«
Er seufzte, lächelte, schüttelte den Kopf.
»Hast du eine Zigarette?«
»Du rauchst?«, fragte er leicht verwundert.
»Die Zigaretten anderer Leute. Ich kaufe keine, weil ich sonst ein Päckchen am Tag rauchen würde.«
Roberto holte seine roten Diana und ein Feuerzeug heraus und ärgerte sich insgeheim, keine zweite Packung gekauft zu haben.
»Ich habe allerdings nur diese. Es sind nicht gerade Damenzigaretten.«
Sie überhörte den Scherz, nahm das Päckchen und das Feuerzeug, steckte sich eine Zigarette an und rauchte gierig eine Hälfte, ohne etwas zu sagen. Die Kellnerin kam und stellte Spritz, Erdnüsse und Chips auf den Tisch.
»Wie lange wohnst du schon hier?«
»Das ist die Wohnung meiner Mutter. Ich habe mit ihr hier gewohnt, zwischen sechzehn und neunzehn Jahren. Dann bin ich auf die Unteroffiziersschule der Carabinieri gegangen. Seit damals sind fünfundzwanzig, sechsundzwanzig Jahre vergangen, und seit knapp zwei Jahren lebe ich jetzt wieder hier.«
»Bei deiner Mutter?«
»Nein, meine Mutter ist gestorben …« Roberto hielt verwirrt inne. Er erinnerte sich nicht mehr, wann sie gestorben war. Er musste sich extrem anstrengen, um zuerst das Jahr, dann den Monat und schließlich den Tag zu rekonstruieren. Er war, als müsse er eine Steilwand emporklettern, an der es keine Gelegenheiten zum Festhalten gab.
»Meine Mutter ist vor knapp fünf Jahren gestorben. Die Wohnung stand leer, bis ich wieder dort einzog, als sich einiges änderte … bei meiner Arbeit.« Er wollte ihr schon sagen, dass er früher viele Jahre lang in Scheinwohnungen gewohnt hatte, in Dienstwohnungen, Hotels, möblierten Appartements. Er wollte noch hinzufügen, dass er davor nie eine eigene Wohnung gehabt hatte, außer als Kind, in Kalifornien. All das wollte er sagen und kam dann zu dem Schluss, dass das nicht der richtige Moment war, jedenfalls noch nicht.
»Ich wohne hier auch seit etwa zwei Jahren, nein, vielleicht sind es doch schon drei. Aber ich bin hier aufgewachsen. Ich wohne heute im selben Haus wie meine Eltern. Ihnen gehören da zwei Wohnungen, von denen sie eine mir und meinem Sohn überlassen haben.«
Sie beendete diesen Satz hastig, so als wolle sie sichergehen, dass sie auch alles sagte, ohne sich von ihrer Verlegenheit aus dem Konzept bringen zu lassen.
»Du hast ein Kind.« Das du erwartet hast, als du die Mineralwasser-Reklame gedreht hast, dachte er, ohne es auszusprechen.
»Wenn mein Sohn das Wort ›Kind‹ hören würde, würde er sehr wütend werden: Er ist elf Jahre alt, beinahe zwölf.«
»Beinahe zwölf«, wiederholte Roberto leise und mit abwesender Miene. Er blieb eine Weile stumm und schüttelte sich dann. Als sei ihm ein Gedanke durch den Kopf gegangen und dann wieder verschwunden.
»Und wo hast du gewohnt, bevor du sechzehn warst?«
»In Kalifornien. Ich bin dort geboren.«
Pause.
»Mein Vater war Amerikaner. Nach seinem Tod sind meine Mutter und ich von dort weggegangen.«
»Heißt das, dass du eine doppelte Persönlichkeit … entschuldige, ich meine: doppelte Staatsangehörigkeit hast?«
Roberto brach in schallendes Gelächter aus und stellte fest, dass er schon lange nicht mehr so gelacht hatte.
»Doppelte Persönlichkeit ist eine geniale Definition. Aber die doppelte Staatsangehörigkeit habe ich auch.«
»Entschuldige, ich sage manchmal unglaublich dumme Sachen, sie rutschen mir einfach so raus.«
»Aber das ist nur die Wahrheit, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Wenn man genau sein will, ist es allerdings nicht korrekt, von doppelter Persönlichkeit zu sprechen, es sind viel mehr.«
»Roberto. So heißt du doch.«
»Ja.«
»Roberto, ich glaube, ich
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