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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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sagte er sich, während er sich mit der Kleiderfrage beschäftigte. Dieses Thema löste so etwas wie eine geistige Lähmung bei ihm aus, eine Art Panikattacke. Wie lange hatte er schon kein Kleidergeschäft mehr betreten? Er hatte nur alte und – wie er zu seiner Schande bemerkte – ziemlich schäbige Kleider. Auch seine Wohnung war alt und schäbig. Er dachte mit Schrecken an die Vorstellung, dass Emma sie sehen könnte, dass sie entdecken könnte, wo er lebte, erkennen könnte, wer er wirklich war.
    Schließlich fand er unter einem Berg gewaschener, aber ungebügelter Hemden und T-Shirts, einzelner Socken, ausgeleierter Unterhosen und ausrangierter Krawatten wie durch ein Wunder ein neues Hemd, das noch in Zellophan verpackt war. Er packte es aus und zog es an; dann schlüpfte er in Jeans, die ja mehr oder weniger immer gleich aussahen, egal, wie lange man sie schon hatte; zum Schluss holte er noch das einzige einigermaßen präsentable Jackett aus dem Schrank. Es gehörte zu einem Anzug, den er seit Jahren besaß, aber höchstens zwei, drei Mal angezogen hatte.
    Jetzt fühlte er sich besser. Er zog den Bauch ein, machte die Schultern gerade und fand sich nicht mehr ganz so erbärmlich wie vorher. Er zog auch ein paar Grimassen, um seinem Gesicht ein wenig Farbe und Ausdruck zu verleihen.
    Damit keine peinlichen Missverständnisse entstanden, beschloss er, ihr gleich zu sagen, dass sie in derselben Gegend wohnten.
    Er war zu früh dran, also ging er langsam und erreichte die Piazza Madonna dei Monti um fünf vor acht. Dieser Umstand gab ihm das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle und versetzte ihn in gute Laune. Die Atmosphäre auf der Straße war heiter und erwartungsvoll, wie so oft an den ersten Frühlingsabenden. Auf den Stufen des Brunnens saßen Jugendliche, zwei ältere, beleibte Römerinnen unterhielten sich im Dialekt, ein Mann sammelte mit einer Zange und einer Plastiktüte auf, was sein Hund auf dem Pflaster hinterlassen hatte.
    Roberto setzte sich an einen Tisch vor der Bar und sah sich weiterhin so neugierig und verwundert um, als sei er zum ersten Mal auf diesem Platz.
    Emma kam fünf Minuten zu spät. Sie war ebenfalls frühlingshaft gekleidet. Jeans, weißes Hemd, Blazer, Umhängetasche aus Leder, Trenchcoat überm Arm.
    »Entschuldige, ich hasse es, zu spät zu kommen«, sagte sie, während sie sich mit einem freundschaftlichen Lächeln setzte und dabei den Parfumduft verbreitete, der Roberto schon vertraut vorkam.
    »Es sind doch nur fünf Minuten.«
    »Sechs Minuten«, sagte sie und sah dabei auf die Uhr. »Weißt du, bis vor ein paar Jahren hatte ich die Angewohnheit, immer zu spät zu kommen. Zwanzig Minuten, auch eine halbe Stunde. Doch dann sprach ich einmal mit dem Doktor darüber, und er erklärte mir, was es damit auf sich hat.«
    »Und das wäre?«
    »Es ist eine Art Machtdemonstration. Ein Gewaltakt, ein verdeckter Übergriff. Also etwas, was mir ganz und gar nicht gefällt. Als er mir das sagte, erschien mir das unsinnig, man kann nicht alles mit Pathologien erklären, ich kam nur deshalb zu spät, weil ich immer so viel zu tun hatte und mir die Zeit nicht gut einteilte und so weiter. Ich reagierte ziemlich schlecht, richtig aggressiv. Das kam anfangs häufig vor.«
    »Und er?«
    »Er lächelte, was mich nur noch mehr reizte. Und dann sagte er, dass ich mich ja einmal fragen könnte, warum mich diese Überlegung so ärgerte, wenn ich Lust dazu hätte. Und irgendwann, wenn ich wiederum dazu Lust hätte, könnte ich ihm ja sagen, was bei meiner Selbstbefragung herauskam.«
    »Ich kann mir gut vorstellen, wie er das sagte.«
    »Natürlich hatte er vollkommen Recht. Ich hatte mich geärgert, weil er Recht hatte. Er hatte mich ertappt, wie schon so oft. Ich brauchte eine Weile, bis ich es ihm sagen konnte, aber damals fing ich an, auf die Sache mit den Verspätungen zu achten. Heute passiert es mir viel weniger, aber manche Gewohnheiten sind schwer abzulegen. Wenn ich trotzdem einmal zu spät komme, entschuldige ich mich immer. Ich habe es noch nicht ganz überwunden. Das hier ist für dich.«
    »Was ist das?«, fragte Roberto.
    » I Am a Bird Now , von Anthony and the Johnsons. Kennst du die?«
    »Nein, aber ich kenne mich nicht gut aus mit Musik.«
    »Als ich aus dem Haus ging, dachte ich, dass ich dir gern etwas von mir mitbringen wollte. Dein Buch hat mir wirklich sehr gefallen. Also habe ich dir diese CD mitgebracht. Nimmst du auch Gebrauchtes?«
    Roberto war nicht mehr daran

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