Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
Vom Netzwerk:
können wir vielleicht sogar draußen sitzen.«
    Roberto antwortete nicht. Santa Maria dei Monti war zweihundert Meter von seiner Wohnung entfernt.
    »Hallo, bist du noch dran?«
    »Nein, ich meine, ja, entschuldige, mir ist nur gerade etwas durch den Kopf gegangen – das kommt vor –, und ich war abgelenkt. Santa Maria dei Monti ist prima für mich, und ich kenne die Bar. Um wie viel Uhr wollen wir uns treffen?«
    »Wenn du weit weg wohnst, ist es vielleicht umständlich für dich, bis nach Monti zu kommen, aber ich kann leider nicht lange weg, es tut mir leid.«
    »Monti ist gar kein Problem für mich. Sagen wir um acht?«
    »Ja, um acht ist gut«, und dann, nach einem kurzen Zögern: »Entschuldige …«
    »Ja?«
    »Ich warne dich, ich trete jetzt gleich ins Fettnäpfchen, aber ich achte nie auf die Namen, wenn ich jemanden kennenlerne …«
    »Ich auch nicht.«
    »… und so habe ich auch deinen nicht gehört. Entschuldige bitte.«
    »Roberto.«
    »Roberto. Aber du bist mir auch einer … Du hättest wenigstens deinen Namen neben die Telefonnummer schreiben können. Dann wäre ich nicht in der Verlegenheit gewesen, dich danach zu fragen.«
    »Du hast recht, das war meine Schuld. Heute Abend diktiere ich dir meine gesamten biografischen Angaben und bringe dir auch eine Fotokopie meines Personalausweises mit, für alle Fälle.«
    Sie lachte.
    »Das ist eine gute Idee, dann kann ich überprüfen, ob du wirklich Carabiniere bist. Bis heute Abend also.«
    »Um acht.«

16
    Fiebrige Erwartung packte ihn. Er wollte schon in der Praxis anrufen und sagen, dass er die Nachmittagssitzung verschieben musste, weil ihm etwas dazwischengekommen war. Aber diese Idee verwarf er gleich wieder. Er ging aus dem Haus und rannte buchstäblich die Straße entlang, um nicht von dem geistigen Kribbeln übermannt zu werden, das ihn nach dem Gespräch mit Emma erfasst hatte.
    Gegen Ende der Sitzung – die wie im Flug vergangen war, als wären sie zwei Fremde, die sich in einem Zugabteil freundlich unterhalten – fragte der Doktor ihn, ob alles in Ordnung sei. Roberto bejahte, alles sei in Ordnung, und, nun ja, der Doktor müsse entschuldigen, dass er ein wenig zerstreut sei, aber seit ein paar Tagen überraschten ihn seine eigenen Reaktionen, und er wisse selbst nicht mehr, was er von sich erwarten solle, und jetzt müsse er leider schnell weg, denn er habe noch eine Verabredung, und sie sähen sich ja dann am Donnerstag, er bitte vielmals um Entschuldigung.
    Er ging und spürte den bohrenden Blick des Doktors im Rücken. Er beschloss, die Erklärungen für sein Benehmen auf Donnerstag zu verschieben.
    * * *
    Nach dem Duschen betrachtete er sich im Spiegel und stellte fest, dass er einen Bauch hatte. Was ihm natürlich bereits bekannt war. Jahrelange ungesunde Ernährung und unmäßiges Trinken hinterließen nun einmal ihre Spuren.
    Doch auch wenn es ihm bekannt war, wurde es ihm in diesem Augenblick erst wirklich bewusst. Genauer gesagt: Er sah es. Er betrachtete sich im Profil, dann wieder frontal und dachte dann, er sollte sich auch von hinten sehen, was jedoch nicht ging, weil er keinen zweiten Spiegel hatte. Er versuchte, die Luft anzuhalten. Dann spannte er die Bauchmuskeln an, die zweifellos vorhanden waren, denn er hatte seit einiger Zeit wieder mit dem Training angefangen. Aber zweifellos waren sie immer noch unsichtbar. Er dachte daran, dass seine Bauchmuskeln vor vielen Jahren einmal ausgesehen hatten wie auf einer Reklame für Bademoden. Das konnte man jetzt nicht mehr behaupten. Wann genau waren sie eigentlich unter einer immer dickeren Fettschicht verschwunden? Er wusste es nicht, und die Jahre, während derer er dieses absurde Leben geführt hatte, waren in dünnen, furchterregenden Nebel gehüllt. Er wusste, dass er in Madrid, Genf, London, Marseille, Bogotá, Caracas, New York und Miami gewesen war, und an einer ganzen Reihe anderer Orte auch, aber die Erinnerungen an all diese Reisen, Flughäfen, Hotels, an die Begegnungen und Gelage waren durcheinandergeraten. So wie die an die Frauen. Das war noch etwas, was ihn sehr beunruhigte. Von vielen wusste er nicht einmal mehr den Namen oder auch nur, wie ihr Gesicht ausgesehen hatte. An die Körper erinnerte er sich und in einigen Fällen auch an ihren Geruch. Aber nicht an die Gesichter und die Namen.
    Ist ja gut, sagte er sich. Es war besser, damit aufzuhören und sich ausgehfertig zu machen.
    Er merkte, dass er keinerlei Parfum im Haus hatte. Ich muss eines besorgen,

Weitere Kostenlose Bücher