In der Gruft der Moenche
Beleuchter, alle. Also knöpfte sich der Boss des Studios den Leitner Hans vor. Er müsse einspringen oder er würde hochkant aus seinem Job fliegen. Und was soll ich sagen: Er spielte die Nebenrolle, eine Mumie, die aus ihrem Grab aufersteht. Er spielte sie so grauenhaft gut, dass alle im Studio klatschten. Es folgten weitere kleine Rollen. Hans war in allen brillant. Irgendwann rief ihn der Studioboss zu sich und machte ihm ein Angebot. Er sollte die Hauptrolle in einem Gruselschocker übernehmen. Hans hatte in den Jahren in Amerika eines gelernt: Alles ist möglich. Er forderte ein unglaubliches Honorarâ und bekam es. Nur seinen Namen, Hans Leitner, den musste er dafür ablegen. Nach kurzem Ãberlegen entschied er sich für einen Künstlernamen, der perfekt zu seinen Gruselfilmen passte. Branco Nagurski war geborenâ ein neuer Stern am Himmel von Hollywood.«
Adam war beinahe quer über den Tisch gekrochen, so spannend hatte der alte Martin erzählt. Jetzt lieà er sich schnaufend wieder auf die Bank fallen. » Wow, keine schlechte Karriere. Vom armen Bauernjungen zum reichen Filmstar.«
Victor musste zustimmen. » Das Schicksal hat es gut mit ihm gemeint.«
Martin nahm ein Stück Zucker und stupste es in seine Tasse. Dann rührte er gedankenverloren um. » So sah es aus. Aber wie heiÃt es so schön: Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben. Branco verdiente Unmengen an Dollars. Die Zuschauer stürmten regelrecht die Kinos, wenn seine Filme liefen. Seine Gage stieg und stieg. Obwohl er in Saus und Braus lebte, türmte sich das Geld auf seinem Konto. Er nannte die gröÃten Fabrikanten des Landes seine Freunde, aà mit dem Präsidenten zu Abend, spielte mit berühmten Sportlern Tennis. Aber 1918 kam ihm seine alte Heimat wieder in den Sinn. Das kleine Tal, das er als junger Mann ausgehungert verlassen hatte. Hier wollte er sich ein Denkmal aus Stein setzen, ein Luxushotel musste es sein. Reiche Freunde hatte er schlieÃlich genug. Es würde immer ausgebucht sein, war Branco sich sicher. Also sparte er bei dem Bau an nichts.«
Martin beugte sich zu einem Aktenordner herunter und hob ihn auf den Tisch. Nach kurzem Blättern fand er, was er gesucht hatte. Einen Zeitungsartikel mit groÃem Foto. Eindeutig das Hotel International, mit mehreren Dutzend Menschen an Personal davor. Und in der Mitte ein eher kleiner Mann mit Schnurrbart und Zylinder. Der Bildunterschrift nach Branco Nagurski. Sein Gesicht war auf dem vergilbten Ausschnitt leider nicht zu erkennen.
» Das war am 21. Mai 1921«, erklärte der alte Mann. » Auf den Tag genau zwanzig Jahre, nachdem er hier Richtung Amerika aufgebrochen war. Dank seines Ruhms war das Hotel in den ersten Jahren immer gut besucht. Nagurski hatte eine Ausstrahlung, die jeden sofort in den Bann zog. Er war ein regelrechter Menschenfänger, konnte jeden für sich und seine Ideen einnehmen. Doch dann kam seinem Glück eine Erfindung in die Quere: der Tonfilm. 1927 war das. Und mit der Karriere von Branco Nagurski war es auf einen Schlag vorbei.«
Kitty stutzte. » Warum? Ich dachte, er war so ein hervorragender Schauspieler?«
Martin holte Luft. » Das war er. Aber leider hatte er eine ganz piepsige Stimme. Andenken an eine Kehlkopfentzündung, die er als Baby gehabt hatte. Einen Versuch machten die Filmbosse noch mit ihm. Aber die Zuschauer brüllten vor Lachen, als sie den Gruselstreifen sahen. Der gute Name Branco Nagurski verwandelte sich in ein Kassengift. Die Kinos blieben leer.«
Victor rieb sich das Kinn. » Lassen Sie mich raten: Die andren Berühmtheiten wandten sich von Branco ab, als der Ruhm verblasste. Keine rauschenden Feste mehr, keine Freunde, richtig?«
Der Alte nickte. » Es ist immer das Gleiche in dieser Glitzerwelt Hollywoods. Wenn du nicht mehr glitzerst, zieht die Karawane weiter.«
Adam schnipste mit dem Finger. » Deshalb also kamen ab 1927 kaum noch Gäste ins Hotel!«
» Ihr denkt mit, das mag ich«, lobte Martin. » Genauso war es. Den Gästen wurde der Weg hierher zu beschwerlichâ wenn man noch nicht einmal hin und wieder einen Weltstar sehen konnte⦠Aus Branco Nagurski war wieder der Leitner Hans mit der Piepsstimme geworden.«
Kitty dachte nach. » Aber zwei Jahre lang war das Hotel noch geöffnet?«
Martin winkte ab. » Der Abstieg ging rasend schnell. Mein GroÃvater wurde Ende 1927
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