In der Hitze der Nacht
gemeinsamen Geschäft namens „Hidden Gems“ stand.
Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Wade war in der Wohnung gewesen und hatte alle Wertsachen mitgenommen. Jessies schwarzes Samtkästchen war vollständig geplündert, Schmuck und Uhr ihrer Großeltern, ein rubinbesetzter Ring und anderer Schmuck: alles gestohlen.
Aber am schlimmsten war der Verlust von Georgias Diamantring und der Medaille, einer militärischen Auszeichnung von Jessies Vater.
Jessie hatte sie an ihrem 16. Geburtstag von Grandma Hawley geschenkt bekommen mit den Worten: „Die passt zu dir. Du bist immer noch eine Hawley, eine Gewinnerin, durch und durch.“
So hatte die Großmutter damals an Jessies Stärke und Selbstbewusstsein appelliert und ihr auf diese Art und Weise immer die Hoffnung gegeben, dass sie im Leben vieles erreichen könne.
Doch von dieser Stärke spürte Jessie im Moment gar nichts.
„Es ist nicht deine Schuld“, erwiderte Georgia ebenfalls zum x-ten Mal. Sie schaute dennoch traurig. Jessie wusste, wie viel der Ring ihr bedeutete. Er gehörte zu den wenigen Dingen, die Georgia von ihrer früh verstorbenen Mutter geerbt hatte. Der Schmerz um den frühen Tod eines Elternteils hatte beide Mädchen schon während ihrer Schulzeit verbunden.
Jessie war geknickt. „Du bekommst ihn zurück, ich verspreche es dir. Und wenn ich jedes Pfandleihhaus im Land abklappern muss!“
Georgia lächelte gequält. Jessie wusste jedoch ziemlich genau, dass schon ein Wunder geschehen müsste, um die Sachen zurückzubekommen. Und ein Wunder hatte sich in ihrer Gegenwart noch nie ereignet.
„Hast du deinen Anwalt schon angerufen?“, fragte Georgia und lenkte damit das Gespräch auf das andere brennende Problem: die Unterschrift von Jessies Exgatten auf den Scheidungspapieren.
„Mein Anwalt arbeitet samstags nicht. Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen“, antwortete Jessie.
Sie hatte alles auf den Kopf gestellt und die Mappe mit den Scheidungspapieren schließlich gefunden. Doch keines der kopierten Dokumente war unterschrieben.
Sie konnte nicht glauben, dass ihr die fehlende Unterschrift damals nicht aufgefallen war. Ihre ganze Hoffnung lag nun auf ihrem Anwalt, der im Besitz eines unterschriebenen Exemplars sein musste.
Georgia versprühte Reiniger auf der Glasvitrine und polierte die Fläche.
„Hidden Gems“ gehörte insgesamt sechs Leuten: Jessie verkaufte ihre Beane-Taschen und Georgia ihre handbemalten Seidenschals. Swan stellte Indianerschmuck her, und Sonora handelte mit antikem Nippes, den sie mit Kennerblick zusammensuchte. Candace machte Hüte, und Vickey entwarf und schneiderte alle Arten von Mänteln und Jacken aus Kunstpelz.
Der geschäftliche Aufschwung der sechs Frauen hatte gerade erst begonnnen. Jessies Taschen machten in Prominentenkreisen Furore, und das verhalf natürlich auch dem Laden zu mehr Aufmerksamkeit, und die anderen Teilhaber profitierten davon.
„Mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, dass Roger eine Kopie der unterzeichneten Papiere in seinem Büro hat“, sagte Georgia und legte vorsichtig eine Kollektion von Sonoras antikem Bakelitschmuck zurück in die Auslage.
„Ich hoffe, du hast recht.“
Jessie atmete tief ein und versuchte ihren Kummer zu vergessen.
Als junges Mädchen hatte sie bereits begonnen, Handtaschen zu kreieren. Wenn es einmal wieder Streit und Ärger mit ihrem Stiefvater oder den Stiefbrüdern gegeben hatte und es laut in ihrer Familie geworden war, hatte sich Jessie gern in ihrem Zimmer verkrochen, hatte Kunstperlen aufgefädelt, gestickt und genäht – mit allen Materialien, die sie hatte auftreiben können. Sie liebte den Frieden, den diese Arbeit in ihre oftmals chaotische Kindheit gebracht hatte. Und bis zum heutigen Tag fand Jessie beim Entwerfen, Nähen und Besticken der Taschen Ruhe und Entspannung.
Als sie sich jetzt im Laden umschaute, fragte sie sich, wie sie ihren Anteil halten sollte, falls Wade tatsächlich ein Anrecht auf die Hälfte ihres Besitzes hatte. Unvorstellbar. Bevor Wade auch nur einen Cent erhielt, würde Jessie lieber das gesamte Inventar in Brand stecken und Insolvenz anmelden. Sie hoffte inständig, dass sich die Sache mit den Scheidungspapieren am Montag klären würde.
Heute Morgen hatte ein Polizeibeamter den Diebstahl aufgenommen, ihr und Georgia jedoch nur wenig Hoffnung gemacht, dass sie ihre liebsten Stücke je wieder zu Gesicht bekommen würden.
Jessie spürte Übelkeit aufsteigen. Sie musste herausfinden,
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