Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In der Hitze der Nacht

In der Hitze der Nacht

Titel: In der Hitze der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Gogoll
Vom Netzwerk:
Tina. Ihr Arm zuckte, als wollte sie nach Mars Hand greifen, aber dann gab sie sich einen Ruck und überschritt die hölzerne Schwelle.
    Ein Salon öffnete sich, im selben Stil möbliert wie die Halle, man fühlte sich hundert Jahre zurückversetzt. Es gab ein Hotel Kaiserin Elisabeth in einem der Orte am See, an dem sie vorbeigefahren waren, und Tina konnte sich gut vorstellen, daß Sissi hier in diesem Haus, dem Haus von Tinas Familie, zu Gast gewesen war, so prächtig erschien ihr alles.
    »Du bist da.« Die Stimme, die zuvor nur wie der Flügelschlag eines Vogels durch die Halle geschwebt war, erklang nun in diesem Raum, kräftiger und verbunden mit einer Person in einem schwarzen Kleid, die gegenüber einem mannshohen, aufwendig verzierten Kamin auf einem zierlichen Sofa saß, wirklich fast wie eine Kaiserin, die zur Audienz lud.
    Tina schluckte. Das mußte, das konnte nur ihre Großmutter sein. Sie nahm das Bild der Frau mit den weißen Haaren in sich auf, und auch in ihrem Gesicht war die Familienähnlichkeit unverkennbar, die Tina und ihre Mutter verband. Bei ihrem Onkel war ihr das nicht so aufgefallen.
    »Du siehst aus wie sie«, bemerkte ihre Großmutter. »Im ersten Moment dachte ich, sie wäre zurückgekommen. Aber sie muß ja jetzt viel älter sein.«
    »Ich dachte auch, es wäre Daggi«, nickte Tinas Onkel. »Die Ähnlichkeit ist erstaunlich. Aber –«, seine Mundwinkel zuckten, »meine extravagante Schwester hätte sich nie so zurückhaltend gekleidet. Sie wollte immer auffallen.«
    Tinas Großmutter lächelte. »Schöne Frauen haben das Recht dazu, Jürgen.« Wie man immer noch sah, war sie selbst einmal eine sehr schöne Frau gewesen und wußte, wovon sie sprach. Ihr Blick hatte sich nicht von Tina abgewendet. »Komm her«, sagte sie. »Du siehst aus, als hättest du Angst vor mir.«
    Tina schluckte erneut. »Ich bin so große Räume nicht gewöhnt.« Sie trat einen Schritt auf ihre Großmutter zu, blieb dann aber wieder stehen.
    »Ja, Jürgen erzählte, daß Dagmar am Telefon von deiner kleinen Wohnung gesprochen hat.« Tinas Großmutter musterte Tina mit einem undefinierbaren Blick. »Das hätte sie dir nicht antun dürfen.«
    »Eine kleine Wohnung ist immer noch besser als gar keine«, sagte Tina. »Ich habe im Urwald Leute gesehen, die in Erdhöhlen hausen.«
    »Wie interessant«, sagte ihre Großmutter, aber man hatte nicht das Gefühl, daß sie es wirklich so meinte. Sie machte nur Konversation. »Du mußt mir einmal davon erzählen.« Sie wies neben sich auf das Sofa, das viel zu klein für zwei Personen erschien. »Komm, setz dich zu mir. Tee, Sherry, einen Likör? Was möchtest du?«
    Mar beobachtete Tina von der Tür her. Sie war ihr lediglich so weit in den Raum gefolgt, daß sie sie sehen konnte. Zwar nur ihren Rücken, aber das reichte, um zu erkennen, daß Tina mit der Situation überfordert war.
    »Ich hätte nichts gegen einen Sherry.« Mar ging schnell die paar Schritte bis zu Tina und dann noch einen an ihr vorbei. »Verzeihen Sie, wenn ich so hereinplatze.« Ihr Blick musterte die Frau auf dem Sofa. »Ich hatte mit Ihrem Sohn im Vorfeld telefoniert. Ich bin Anwältin. Tina hatte mich gebeten, sie ein wenig bei den juristischen Belangen zu unterstützen, die mit ihrem Erbe einhergehen. Für Laien ist das ja oft undurchschaubar.« Sie lachte so offen und ehrlich, daß es wohl jedem schwergefallen wäre, ihr zu widersprechen.
    »Das ist . . .«, Tina warf einen unsicheren Blick auf Mar und dann auf ihre Großmutter, »Frau Dr. Amon. Entschuldigung, ich habe sie gar nicht vorgestellt.«
    Tinas Großmutter schien Mar tatsächlich erst jetzt zu bemerken. »Das wäre eigentlich die Aufgabe meines Sohnes gewesen«, sagte sie nach einer langen Minute mit einem tadelnden Blick auf Tinas Onkel. »Er hatte mir ja erzählt, daß Sie«, ihr Blick wanderte zu Mar, »angerufen haben.«
    Mar konnte sich erinnern, diesen Blick schon mehr als einmal gesehen zu haben. Vor Gericht. Es ist ihr überhaupt nicht recht, daß ich hier bin, dachte sie. Ganz und gar nicht. »Ich will mich nicht aufdrängen«, erwiderte sie mit einem weiteren liebenswürdigen Lächeln, »aber ich bin davon überzeugt, daß Ihr Sherry der beste im weiten Umkreis ist. Ich würde ihn tatsächlich gern probieren.«
    »Dazu sollten Sie sich aber erst einmal setzen.« Tinas Großmutter hatte den Schock von Mars Anwesenheit schnell überwunden. Sie machte eine einladende Handbewegung zu dem Sessel hin, der ihr gegenüberstand

Weitere Kostenlose Bücher