In der Hitze der Nacht
tief durchatmen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, als ob sie sich auf eine große Anstrengung vorbereiten müßte.
Das tat sie ja auch. Es ging ihr vieles im Kopf herum. Auch die Möglichkeit, dieses Zimmer, diesen Gasthof, diesen Ort an einem See, der ihr nichts bedeutete, zu verlassen und nie mehr zurückzukehren.
Zwar waren sie mit Mars Auto hergekommen, aber es gab sicherlich auch eine Bahnstation oder eine andere Möglichkeit, von hier wegzugelangen. Sie war nicht auf Mar angewiesen.
Nein, war sie nicht. Sie drehte sich auf dem Bett zur Seite und schaute zum Fenster hinaus. Hinter den langen, verglasten Türen spiegelte sich der Himmel im Wasser. Es war wunderschön. Eine Ruhe, wie sie sie schon ewig nicht mehr empfunden hatte.
Wasser. Sie dachte an ihre erste Begegnung mit Mar. Mar hatte sie davon zu überzeugen versucht, daß diese Begegnung keine Bedeutung mehr hatte, jetzt, da sie Anwältin und Mandantin waren. Daß diese ihre berufliche Beziehung die einzige wäre.
Ja, es stimmte, eine andere Beziehung hatten sie nie gehabt. Eine einzige sexuelle Begegnung, eine einzige Nacht konnte man sicher nicht so nennen.
Dennoch fühlte Tina ein gewisses Unbehagen, wenn sie an die Intimitäten dachte, die sie ausgetauscht hatten. Mar erwähnte es nicht mehr, seit Tina ihr gesagt hatte, daß sie sie nicht liebte, aber es stand immer irgendwie im Raum, und Tina war überzeugt davon, daß Mars Gedanken, auch wenn sie nicht darüber sprach, durchaus darum kreisten.
Für sich selbst hatte Tina beschlossen, daß das Thema Frauen für sie vorläufig abgeschlossen war. Geneviève hatte ihr definitiv den Rest gegeben – und das schlimmste daran war, daß sie sie immer noch liebte.
Sie wußte nicht, warum. Geneviève hatte ihr wehgetan, körperlich wie seelisch, hatte sie gedemütigt, ihr immer wieder gezeigt, wie wenig sie sie schätzte, sie auf einen Platz weit unter sich verwiesen. Und doch sehnte sie sich nach ihr, träumte von ihr, erinnerte sich an das Erzittern ihrer Haut unter Genevièves Fingern, die sie berührten.
Sie wollte dieses Gefühl zurückhaben, aber merkwürdigerweise konnte sie es sich mit keiner anderen Frau vorstellen.
Was war das nur? Sie fühlte sich gefangen in Gefühlen, die keinerlei Bedeutung mehr hatten – nie eine gehabt hatten. Für Geneviève jedenfalls nicht. Sie hatte Tina nur ausgenutzt. Tinas Gefühle interessierten sie nicht im mindesten.
Und Mar ist genauso! Sieh es doch ein! Du stehst auf diese Art Frauen. Sonst wäre das damals in den Rheinauen gar nicht passiert.
Sie hatte sich schon des öfteren gefragt, warum es überhaupt passiert war. War Einsamkeit eine ausreichende Erklärung? Die Einsamkeit des Herzens?
Wenn man anfing, sich Gedanken über so etwas zu machen, war es wahrscheinlich schon zu spät. Mar machte sich ganz bestimmt keine solchen Gedanken, Sex war für sie wie Essen oder Trinken – eine Notwendigkeit, die sie sich zuführte, wenn sie sie brauchte.
Und damals, in jener heißen Sommernacht, war es eben Tina gewesen, die ihre Bedürfnisse gestillt hatte. Es hätte genausogut jemand anderer sein können. Mar hatte schließlich selbst zugegeben, daß sie auf der Suche gewesen war, aber niemand gefunden hatte, bevor Tina kam.
Für Tina war es nie so gewesen – so einfach. Sie hatte Mars Angebot zwar aus purer Verzweiflung – oder auch Verlorenheit – angenommen, aber trotz der schönen Gefühle, der Befriedigung war nichts dabei herausgekommen außer peinlichen Erinnerungen.
Genauso peinlich wie mit Geneviève. Jedesmal hatte sie das gedacht, wenn Geneviève sie verließ. Hatte dagelegen wie ein fast zu Tode gehetztes Wild, bis sie sich nach Stunden endlich – vielleicht – von den harten Sexgelagen erholt hatte.
Wieso waren Gefühle so unzuverlässig? Sie sah, wie das Bild des Sees sich verschleierte, immer unklarer wurde, wie durch eine Scheibe, über die der Regen lief.
Aber es war kein Regen . . . es waren Tränen, die nun ihre Schläfen hinunterliefen und ihre Haare naßwerden ließen.
Hatte sie wirklich gedacht, sie wäre Geneviève gewachsen? Daß sie ihr so etwas entlocken konnte wie eine Liebeserklärung oder zumindest ein Bekenntnis der . . . Sympathie für Tina? Aus Angst, sie zu verlieren?
Tina lachte bitter auf. »Wieso sollte sie Angst haben, mich zu verlieren? Ich bin ihr hinterhergelaufen wie ein Hund.«
Sie lag eine Weile so auf dem Bett, unfähig sich zu rühren. Ihr Körper schien sich in eine
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