In der Hitze der Nacht
beendet.
»Sind Sie der Nachlaßverwalter?« fragte Mar Tinas Onkel und musterte sein Gesicht aufmerksam, während sie auf die Antwort wartete.
»Nein, ich – Unser Familienanwalt macht das.« Tinas Onkel schien peinlich berührt von der Frage. »Er hat sich auch darum gekümmert, meine Schwester zu finden. War ja nicht so einfach.« Ihm war eine Unzufriedenheit anzumerken, die nicht davon herrühren konnte, daß er sich dieser Mühe hatte unterziehen müssen, da sie ihm ja abgenommen worden war.
»Könnten Sie mir dann bitte seine Adresse und Telefonnummer geben?« fragte Mar. »Ich würde mir das Testament gern einmal anschauen, damit ich veranlassen kann, was zu veranlassen ist.« Sie öffnete ihren Aktenkoffer und zog ihren Blackberry heraus.
»Das hat doch noch Zeit.« Tinas Großmutter lächelte erneut in dieser zuvorkommenden Art, die Mar mißtrauisch machte. »Tina soll erst einmal hier bei uns ankommen – bei ihrer Familie. Das ist jetzt das wichtigste.«
Mar öffnete den Mund, um zu antworten, doch Tina legte eine Hand auf ihren Arm und hielt sie auf. »Ist schon gut, Mar. Ich glaube, meine Großmutter hat recht. Das alles hier ist doch recht viel für mich.«
»Willst du dich ausruhen?« Tinas Großmutter neigte leicht fragend den Kopf. »Jürgen kann dir dein Zimmer zeigen.«
»Mein . . . Zimmer?« Tina blickte sie erstaunt an.
»Wie du siehst, ist das Haus groß genug.« Tinas Großmutter hob leicht die Augenbrauen. »Und ehrlich gesagt hatte ich gehofft, daß du hierbleibst. Deshalb habe ich schon einmal ein Zimmer für dich vorbereiten lassen.« Sie griff nach einem kleinen Glöckchen, das vor ihr auf dem grazilen Couchtisch stand, und ein heller Klang ertönte.
Kaum eine Sekunde später erschien fast geräuschlos eine Frau in der Tür.
»Jürgen, geh bitte mit.« Tinas Großmutter warf einen befehlenden Blick auf ihren Sohn, der sofort sein Glas absetzte und nickte. »Hast du Gepäck?« Der Blick traf wieder Tina.
»Ich –« Tina schaute Mar an. »Wir wohnen im Gasthof.«
»Dann lassen wir dein Gepäck herbringen.« Ein kurzer Blick auf die Frau an der Tür schien alles zu klären, denn die nickte stumm.
»Es ist nicht viel«, sagte Tina. »Nur eine Tasche. Ich kann das auch selbst holen.«
»Du solltest dich jetzt erst einmal ausruhen.« Wie zu erwarten gewesen war, ließ sich Tinas Großmutter nicht mehr von ihrem einmal gefaßten Entschluß abbringen.
»Macht es dir etwas aus?« Tinas fragender Blick wandte sich an Mar.
»Mir? Nein.« Mar musterte kurz Tinas Gesicht. »Willst du denn länger hierbleiben?«
»Ich . . . weiß noch nicht.« Tina wirkte unentschlossen.
»Aber natürlich.« Tinas Großmutter erhob sich von dem zierlichen Sofa, und man sah, daß die fragile Bauweise des Möbelstücks ihrer Gestalt angemessen war. Doch so klein sie auch erschien, sie wirkte keinesfalls zerbrechlich und schon gar nicht nachgiebig. Im Gegenteil. »Eine Familie gehört zusammen. Auch wenn Tinas Mutter das vergessen hat.« Ihr durchdringender Blick musterte Tina, so als ob er sagen wollte: eine in der Familie reicht.
Als wäre es ein Signal gewesen, erhoben sich auch die beiden Besucherinnen. Mar beobachtete Tinas Reaktion. Sie schien immer noch unentschlossen. »Ich kann nicht allzulange hierbleiben«, erklärte Mar ruhig. »Meine Mandanten warten. Übermorgen habe ich wieder eine Verhandlung. Gerichtstermine lassen sich leider nicht so einfach verschieben.« Sie ließ ihre Augen kurz durch das Zimmer und wie zufällig auch über die Gesichter von Tinas Großmutter und Onkel schweifen. »Deshalb wäre es gut, wenn wir die Sache heute oder morgen abschließen könnten.«
»Ich halte nichts davon, diese Art Angelegenheiten übers Knie zu brechen.« Tinas Großmutter durchbohrte bildlich gesprochen Mars Augäpfel mit entschlossener Kraft. »Gut Ding will Weile haben.«
Ihre Blicke maßen sich für einen endlos erscheinenden Moment.
»Ich halte auch nichts von überstürzten Aktionen«, stimmte Mar dann nüchtern zu. »Als Juristin bin ich es gewöhnt, die Sachlage gründlich zu recherchieren.« Sie schaute Tina an. »Wenn du es nicht eilig hast zurückzufahren, fahre ich allein, das ist kein Problem. Aber es wäre mir lieb, wenn wir vorher noch ein oder zwei Dinge besprechen könnten – wegen der Güteverhandlung«, fügte sie beiläufig hinzu. »Die andere Sache, in der ich Tina vertrete«, erklärte sie mit einem kurzen Blick auf Tinas Großmutter.
»Ja, wenn du
Weitere Kostenlose Bücher