In der Hitze der Stadt
Dreispitz suchen, sobald wir hier weg können.«
Meier nickte.
Baumer fragte seine Kollegen nicht, ob irgendeiner der Passanten den Täter gesehen hatte. Dazu waren die Gaffer sicher längst befragt worden. Wäre der Mörder beobachtet worden, dann hätte man ihm eine Personenbeschreibung gegeben. Es gab also nur noch die Hoffnung, dass man irgendwo in der Nähe jemanden aufgreifen würde, der sich verdächtig verhielt. Einen Menschen, der davonrennt, wenn er die Polizei sieht, oder einer, der erschüttert auf einer Bank sitzt, immer wieder wie ein Jude beim Gebet vor und zurück schaukelt, vielleicht leise wehklagt oder sich mit offenem Mund und erschreckten Augen die Fingerkuppen an die Schläfen drückt. Doch wenn sich der Mörder einigermaßen in der Gewalt hatte, war alles Suchen vergebens. Die Hochstraße führte direkt zum Bahnhof Basel SBB. Videoüberwachung würde es in dieser von einer rot-grünen Mehrheit regierten Stadt wohl nie geben. Einzig ein paar Verkehrsüberwachungskameras filmten in weiter Perspektive. Gut erkennbare Gesichter von Personen durfte man auf diesen Aufnahmen per Gesetz nicht entdecken. Im Bahnhof konnte man also ohne Probleme unerkannt in der Masse untertauchen, konnte ein Billett lösen, in irgendeinen Zug steigen.
Konnte abfahren.
Konnte winken.
Alle auslachen.
In der Schalterhalle selbst waren zwar auch ein paar Videokameras installiert, aber was nützten die schon? Wie sollte man irgendjemanden, der auf deren Videos auftauchte, mit einem Mord in Verbindung bringen? Hier vor Ort hätte es Videoüberwachung gebraucht. Hier! In der Hochstraße, vor Baumers Haustür.
»Diese politisch korrekten Scheißpolitiker!«, fluchte plötzlich Meier los, als ob er die gleichen Gedanken hätte wie Kommissar Baumer. »Wie sollen wir wissen, wonach wir suchen müssen? In jeder verfurzten Provinzstadt hat es Videos wie blöd, nur hier nicht.«
»Das ist eben Basel«, meinte Heinzmann
»Scheiß auf Basel. Kaputte Dreckstadt.«
»Du kannst nicht alle Ecken der Stadt überwachen.«
»Doch, jede verlauste Ecke soll überwacht werden. Hast du schon diese Frau vergessen, die vor zwei Monaten vergewaltigt worden ist? Sie wird am Aeschenplatz begrapscht, flüchtet in die St-Alban-Anlage. Dort wird sie eingeholt, von hinten gepackt und gleich im Gebüsch vergewaltigt.«
»Wir kennen alle diese Geschichte«, entgegnete der Wachtmeister und setzte sich den Hut wieder auf.
»Eben. Noch heute läuft der Vergewaltiger frei rum. Und noch immer hat es keine Kameras auf den großen Plätzen in Basel. Dauernd diese Messerstechereien, immer mehr Raubüberfälle und dieser ganze Dreck. Und wir sind dann auf Phantombilder angewiesen, auf die 50 Prozent aller Männer passen. Die wenigen Videokameras werden nur eingeschaltet, wenn die Reichen und Schönen zu den Messen kommen. Da hat’s dann tonnenweise uniformierte Kollegen auf der Messe. Basel ist schön! Aber das gemeine Volk wird in dieser Scheißstadt …«
»Meier?«
»Was ist?«
»Such die Hauseingänge auf dieser Seite ab!«, befahl Heinzmann seinem Untergebenen in scharfem Ton.
Ohne weiter herumzuschimpfen, tat der sofort wie ihm geheißen. Er war froh, irgendetwas tun zu können, irgendetwas suchen zu können. Vielleicht konnte man doch noch eine Spur finden. Immerhin vertrieb es die schwarzen Gedanken, die ihn plagten. So musste er auch nicht daran denken, wie diese Stadt nun einmal war und wohin sie sich entwickelte.
»Und ich? Was soll ich tun?«, wollte Baumer von Heinzmann wissen. Er fühlte sich unfähig, selbst einen sinnvollen Gedanken zu formulieren, brauchte dringend einen starken Arm, der ihm Halt geben würde. Wie war die Prozedur bei einem Mord an einem jungen Mädchen? Wie konnte man hier systematisch vorgehen, bei einer so unwirklichen, so undenkbaren Tat?
Stefan Heinzmann fasste sich an den Mund, legte die Stirn in Falten. Er schnalzte. »Hier kannst du nicht viel in Erfahrung bringen. Die Spurensicherung wird alles aufnehmen. Das Messer haben wir bereits gesichert. Ich habe es im Wagen.«
»Also, was soll ich machen?«, suchte Baumer nach einer Aufgabe.
»Die Familie hat sie auf dem Gewissen«, entgegnete Heinzmann plötzlich erregt und öffnete die Hände wie ein Muslim beim Gebet. »Das ist klar.«
»Wie meinst du das? Eine Familie bringt doch niemanden um.«
»Das weiß ich auch«, wurde Heinzmann unwirsch. »Aber einer aus der Familie könnte es doch gewesen sein. Es ist ein Muslimmädchen. Vielleicht ist es ein
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