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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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Ehrenmord.«
    »Aber es ist doch noch viel zu jung für einen Ehrenmord. 14 Jahre höchstens. Noch fast ein Kind.«
    Der Wachtmeister ließ die Arme fallen. »Ja, du hast Recht.« Dann machte er eine Faust und tippte damit einige Male auf seinen Mund. »Trotzdem. Du musst in der Familie beginnen. Vielleicht hatte sie auch schon einen Freund.«
    »Einen Freund? In dem Alter?«
    »Vielleicht wollte der Sex, sie lehnte ab und er hat sie umgebracht. Was weiß ich?« Heinzmann rieb sich den verschwitzten Nacken mit einem Taschentuch. »Sie ist ein Muslimmädchen. Das ist wichtig. Was meinst du?«
    Baumer meinte nichts.
    Der erfahrene Wachtmeister schüttelte den Kopf, als könne er so seine Gedanken darin besser ordnen. Wer würde sonst einen jungen Menschen auf offener Straße ermorden? Er kam zu keinem besseren Entschluss. »Das liegt in der Familie. Da musst du beginnen«, war er überzeugt.
    »Da beginnen, da beginnen«, wiederholte Baumer mechanisch, als wäre er ein Autist, wie sein Nachbar Franz Heberlein. Das Entsetzen über die brutale Ermordung eines so jungen Mädchens hatte ihn zutiefst berührt, wie ihn selten ein Mord erschüttert hatte.
    Heinzmann – auch er nur in der Fassade ruhig – spürte es. Er legte dem Freund seine linke Pranke auf die Schulter. »Bist du okay?«, suchte er den Blick Baumers, der seinen Kopf gesenkt hatte und mit seinen Augen irgendwo auf dem Boden Halt suchte.
    »Komm!«, sagte der Wachtmeister schließlich, der wie ein älterer Bruder zu Baumer war. »Wir packen uns den Mörder.«
    Andi Baumer hob den Kopf schwerfällig. Er schaute von einem Messingknopf auf Heinzmanns Uniform zum nächsten. Auf der Schulter erblickte er die ausgewaschenen Schulterstücke eines Wachtmeisters, also ein Paar Winkel, zwei Löwen, die das Wappen mit dem Baslerstab hielten, darunter noch das Wort Polizei. Die spitzen Winkel sahen aus wie die weißen Pfeile auf den schwarzen Schildern, die in gefährlichen Kurven standen. Sie schienen den Kommissar zu wecken, dafür aufmerksam zu machen, was zu tun sei. Einfach den Hinweisen folgen. Eine Spur suchen, die sie zum Täter führen würde. Dieser Gedanke gab Baumer Halt. Er sah in Heinzmanns eindringliche Augen. Andi Baumer nickte. »Ja, du hast Recht, Stefan. Tun wir etwas.«
    »Was?«, fragte nun Heinzmann.
    »Wir folgen den Zeichen.«
    »Welchen Zeichen?«
    »Den vielen Hinweisen, die wir jetzt schon haben.«

2
    Baumer hatte ein paar Zeichen gesammelt, ein paar Fakten. Das war ganz unbewusst geschehen. Es waren noch keine Hinweise auf die Täterschaft, aber dennoch wichtige Informationen für ihn als Kommissar. Das tote Mädchen trug ein traditionelles Kopftuch und einen Rock, aber auch fluoreszierende Sandalen. Die Mutter war keine Muslimin, eine Schweizerin offensichtlich. Also musste der Vater Muslim sein. Das Kind war vielleicht Spielball beider Kulturen gewesen. Das war kein Fakt. Es war ein Bauchgefühl.
    Baumer ging zum Krankenwagen. Er wollte die Personalien der Mutter erfahren, hoffte, vielleicht schon ein erstes Gespräch führen zu können, irgendetwas in Erfahrung zu bringen. Womöglich ergäbe sich eine Spur.
    Die Mutter saß hinten im Sanitätsauto, neben ihrem Kind, das auf seiner Bahre in den Wagen geschoben worden war. Sorgsam zupfte sie eine weiße Baumwolldecke mit Spitalsignet zurecht, die das Mädchen umfasste, hielt kurz inne und strich ihrer Mina die schwarze Locke aus der Stirn.
    »Wir müssen jetzt los«, wandte sich der eine Sanitäter zu Baumer, noch bevor der die Mutter ansprechen konnte. Vielleicht hatte er gemerkt, dass Baumer ein Kommissar war, kannte ihn womöglich auch schon von früheren Einsätzen her.
    »Ihr könnt gleich los. Muss nur die Personalien der Frau aufnehmen.«
    »Da«, reichte der Weißhaarige Baumer eine Identitätskarte. »Die hat sie mir gegeben.« Er fügte an: »Eine Befragung scheint mir jetzt nicht sinnvoll.«
    Andreas Baumer nahm die Karte, notierte den Namen auf einem winzigen Notizblock, den er für solche Fälle immer in seiner Brusttasche führte. Clara Werthmüller. Er schaute die Frau an.

    Clara.

    Wohnhaft an der Gempenstraße. Nationalität: Schweizerin. 46 Jahre alt.
    Baumer gab dem Sanitäter den Ausweis zurück. »Danke. Das genügt für jetzt. Fahrt sie nur ins Spital.« Er hatte erkannt, dass er diese Frau jetzt unmöglich in ein ergiebiges Gespräch vertiefen konnte. Hinweise auf Probleme in der Familie oder Streit, Andeutungen darauf, wen die Mutter verdächtigte, den Vater etwa,

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