In der Hitze der Stadt
gelangen. Trotzdem bestellte er sich kein Taxi, sondern marschierte vom Gundeldingerschulhaus aus zügig in Richtung Gempenstraße. Bis ein Taxi da wäre, würde er schon dort sein. Er musste eh noch ein paar Telefonate erledigen.
Als Erstes alarmierte er Gunhilde Ottenweiler, die Fotografin, die er auf Abruf gehalten hatte, und bestellte sie zur Wohnadresse von Tanja Milutinovic. Dann rief er seine Heimatredaktion in Zürich an.
»Danner«, begrüßte der Chefredakteur seinen Reporter mit nur einem Wort. Zeit ist Geld!
»Hast du schon die Titelseite?«, hielt sich auch Danner so knapp als möglich.
»Nein.«
»Mord in Basel!«
»Täter?«
»Ja doch, ja! Ich weiß als Einziger, wer es ist.«
»Wer?«
Gerade, als Danner die Antwort geben wollte, hörte er, wie der Chefredakteur sich offenbar wegdrehte und einen Angestellten anblaffte. »Sofort habe ich gesagt!«, krachte der Anschiss bis zu Danner, und er konnte den armen Hund direkt vor sich sehen, wie er sich mit eingezogenen Schultern und pulsierendem Rot auf den Wangen davonmachte.
Wieder in der Leitung sparte der Chefredaktor weiterhin Geld. »Du kennst den Tarif.« Er hängte auf.
Danner steckte das Handy ein. Ja, er kannte den Tarif. Ein Mord unter Ausländern war im Blatt hinten. Ein Mord eines Ausländers an einem Schweizer war weiter vorne, ebenso der Mord eines Migranten an seiner Frau. Aber beides reichte heutzutage nicht mehr für den Aufmacher. Den gab’s nur für Tötungsdelikte, die die Leute überhaupt noch schreckten, ein Mord an einem jungen Mädchen etwa. Da war es egal, ob der von einem Schweizer, einem Türken oder einem dieser Ex-Yugos, diesen ewig verhassten »-ićs«, begangen worden war.
Der Blick-Journalist machte sich keine Sorgen, welche Story morgen im Blick auf dem Titel wäre und welches Kürzel den Artikel zieren würde. Noch während er zu Tanja rauschte, arbeitete er an dem Text. Sein Gehirn lief auf Hochtouren. Die kreischende Schlagzeile hatte er schon, nun fügte er Hammerzeile um Hammerzeile hinzu. Er merkte schon gar nicht mehr, wie er schwitzte in der Gluthitze der Stadt.
Es war ihm sowieso egal. Rolf Danner würde barfuss durch das Tal des Todes gehen für seine Seite 1.
*
Regazzoni stand im großen Sitzungszimmer vom Spiegelhof und blickte auf Schneider. Sein Gesichtsausdruck zeigte eine ungeduldige Miene, die sagte: »Mein Gott, Schneider, merken Sie denn immer noch nicht, wer der Mörder ist?«
Der junge Kriminalpolizeichef hatte den Mund offen, konnte nichts sagen.
Also kam der Einsatz, auf den er hingearbeitet hatte, vom »Professor« selbst. Nonchalant behielt er eine Hand an der Hüfte, die andere führte er langsam nach oben, wie ein Kapellmeister den Taktstock hebt, um den Einsatz der größten Pauke anzukünden. Während er dies tat, sagte er tatsächlich voller Stolz: »Also Achtung, jetzt.«
Alle spitzten die Ohren.
Dr. Regazzoni behielt die Spannung hoch, schwieg noch einen Moment. Dann: »Hätten Sie aufgepasst, würden Sie bemerkt haben, dass ich nur sagte, Azoglu brächte sein eigenes Kind nicht um. Aber ich sagte nicht, er sei nicht der Mörder von Emine Azoglu.«
Die Luft im Büro von Schneider kochte. Alle hielten vor Spannung den Atem an.
Jetzt war der Höhepunkt erreicht, und Regazzoni schlug zu. Brutal stieß er den Zeigefinger auf Azoglu hinunter und fauchte ihn herrisch an. »Sie haben das Kind ermordet, weil es NICHT Ihr Kind ist!«
Azoglu behielt seinen zynischen, arroganten, mörderischen Blick. Er erwiderte nichts.
Schneider stand perplex da.
Heinzmann ging ein Licht auf.
Baumer konnte als Erster etwas sagen. »Aber ja doch, ja.« Wieder und wieder schlug er sich eine Faust an die Stirn. »Das ist das richtige Puzzleteil.« Mit großen Augen blickte er auf den Türken. »Sie sind gar nicht der Vater!« Er drehte sich zu Schneider, der – erschlagen von der Erkenntnis – mit offenem Mund in seinem Sitz saß. Baumer war jetzt hellwach, hob erklärend die Hände. »Ich wusste, etwas stimmte nicht. Dem Mann war es völlig egal, dass das Kind nicht innerhalb von 24 Stunden beerdigt werden konnte.«
»Genau, Baumi!«, rief Mina. »Jetzt hast du’s geschnallt.«
»Ja«, riss Regazzoni die Aufmerksamkeit wieder an sich. »Herr Azagoglu war merkwürdig kalt und gelassen bei der Leiche der Mina. Wie Kollege Baumer …«, er räusperte sich, »... also ich meine Kommissar Baumer sagt, war es ihm völlig egal, dass seine Emine nicht nach streng islamischen Regeln beerdigt werden
Weitere Kostenlose Bücher